XJAZZ-Festival in Berlin-Kreuzberg - Die 6. Kurzgeschichte - Piano trifft Kontrabass oder die Kunst des Duos

von Cosmo Scharmer

Clara Haberkamp
Clara Haberkamp, Foto: Stefanie Marcus

Kurzgeschichten vom XJAZZ-Festival in Berlin-Kreuzberg 08.05. bis 12.05.2019

Die 6. Kurzgeschichte
Piano trifft Kontrabass oder die Kunst des Duos – Orania 10.05.2019

Clara Haberkamp bittet Lisa Wulff zum Duo. Die Berlinerin Clara Haberkamp wird die Saiten des Pianos schlagen, das hier natürlich ein ordentlicher Flügel ist. Die Hamburgerin Lisa Wulff hat ihren wuchtigen Kontrabass mitgebracht. Angekündigt ist gemeinsames Spielen und Singen im Kontext des XJAZZ-Festivals. Es ist das gediegene Ambiente im 5. Sock der Hotels Orania. Siehe auch den Artikel über den Drummer Bodek Janke mit der Beschreibung der Location.

Rhythmisch akzentuiert gibt das Piano das Thema vor; der Bass legt nach. Akkorde bevorzugend wirft die Pianistin ihrer Duo-Partnerin den musikalischen „Ball“ zu und die wirft aufnehmend oder leicht variierend den Ball zurück. Das Hin- und Her-Schmeißen dieser Bälle geschieht mit sichtlichem und hörbarem Vergnügen. Man/frau sieht sofort: Hier haben sich zwei musikalische Seelen gefunden. Das nächste Stück tönt als Ballade mit einem elegischen Grundton. Kein Wunder bei diesem Titel, sofern der Autor dies korrekt verstanden hat:
„I loved alone.“
Dies ist ein einfaches, eingängiges Thema, dessen wesentlicher Kern der Gesang bildet. Gelassen wird diese Ballade von Lisa Wulff begleitet, die zur weiteren Unterstützung auch ihre Stimme einsetzt. Mit ihrer 2. Stimme klingt es deutlich voluminöser und raffinierter bei diesem mehrstimmigen Gesang. Hat was!

„Beneath the Surface“ ist ein surrealistisch lautender und auch ein wenig so klingender Titel, ein wenig schräg. Der Bass von Lisa Wulff ist jetzt in hohen und höchsten Lagen zu hören, nicht gezupft sondern gestrichen. Das selbstlose Spiel der Bassistin weiß die Pianistin für ein Solo zu nutzen. Thema und Solo leben von der Sparsamkeit und den stillen Pausen zwischen den Sequenzen. Alles tönt in sich ruhend, unaufgeregt, ausgewogen. Dieser Song ist was für den Feierabend nach einem anstrengenden Tag in der Großstadt.

Der folgende Titel beinhaltet das Thema Flucht. Der Text basiert auf einem Gedicht einer libanesischen Lyrikerin. Hier wie auch im nächsten Stück steht das Singen stark im Fokus, die instrumentelle Musik oder gar die Improvisationen treten dagegen in den Hintergrund. Das Duo zweier Jazz spielender Musikerinnen mutiert in diesen Gesangs-Stücken zu einem Gesangs-Duett. Die Intonation der Stimmen erinnern an eine (Liebes)Ballade, zumindest an einen Flirt. Der Grundton ist gelassen bis lässig, dabei warmtönend. Dieser Gesang klingt nach gefälligen, einschmeichelnden Songs aus …? Nun, nicht gerade nach Operette, aber Musical schon. Warum auch nicht? Dann wird wieder ein zünftiger Jazz in munterer Manier gespielt. Der Kontrabass gibt vor, baut das Thema aus und sein Spiel mündet in einem markanten Solo, unterstützt von der sich zurückhaltenden Clara Haberkamp. Öfter gibt es ein charmantes Lächeln von der Dame am Flügel, der Kollegin gegenüber oder den Anwesenden geschenkt.

Märchenhaft geht das Konzert weiter. „Ferry Tale“ ist ein dichtgewebtes Thema, das von kraftvollen Bass-Figuren und –motiven lebt. Diese haben was von einer „leichten Schwere“ oder auch von „schwerer Leichtigkeit.“ Solche Aussagen tönen nur paradox. Diese Spannungspole definieren den Jazz, machen die Faszination dieser Musik aus. Im Spiel des Basses, noch deutlicher im Bass-Solo von Lisa Wulff ist diese Kunstfertigkeit gut zu entdecken.

Ähnliches ist über das Piano-Solo von Clara Haberkamp zu sagen. Nach kurzer Einstimmung vertieft sich das Thema, verdichtet sich und führt zu einem feinsinnigen Solo der Pianistin. Hier sind es perlenden Läufe die ständig hin und her schwingen und dadurch für aufbrandende musikalische Wellen sorgen. Dann kommen diese Oszillationen langsam zur Ruhe. Nun ist der Gesang wieder an der Reihe, sei es als Lied, Chanson oder Song. Nur eines sind diese schönen Stimmen nicht: Es ist kein Gesang in der klassischen Tradition des Jazz oder in seinen vielen aktuellen Ausprägungen. Schön klingt dies trotzdem! Besonders wenn das Singen zweistimmig ertönt. Es ist auch sehr schwer bis unmöglich mit seinem Instrument kreativen Jazz zu spielen und gleichzeitig sich auch noch solistisch mit Gesang auszudrücken.

Auf einen knappen Nenner gebracht: als Instrumentalistinnen spielen die beiden Ladies soliden, gefühlvollen und hörenswerten Jazz. Als Sängerinnen verwandeln sie die Themen oder einzelne Passagen ins „Lieder-liche“. Dies ist eine liedhafte Ausrichtung, irgendwo zwischen klassischem Lied, folkloristischem Gesang und aktuellem Pop. Noch kürzer formuliert: schöne Melodien (nicht ironisch gemeint) aus der Welt der Lieder.

Ihr Gesang ist gefällig, angenehm zu hören und durchaus originell. Ob dies vielen Jazzfreunden gefallen mag? Greifen sie dagegen zu ihren Instrumenten - ohne sich gesanglich auszudrücken -, so erklingt unkomplizierter, geradliniger Jazz. Dies wird vermutlich nicht allen Freunden des schönen Liedes und des Musicals gefallen. So könnten es die beiden Jazzerinnen nicht leicht haben, ihr Publikum zu gewinnen. Aber es könnte auch genau umgekehrt sein:
Eine Musik zwischen Jazz und zeitgenössischen Songs könnte genau das sein, was viele vermissen und es bei Clara Haberkamp und Lisa Wulff hier im Orania beim XJAZZ-Festivals finden.

Das kundige Publikum scheint solch eine Musik erwartet zu haben oder es hat sich im Laufe eines Konzertes verführen und schnell überzeugen lassen. Den Anwesenden jedenfalls gefällt die Musik gut und dies zeigen sie auch.

Text: Cosmo Scharmer
Foto: Stefanie Marcus

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