Johanna Summer - Schumann Kaleidoskop

Johanna Summer
Schumann Kaleidoskop
Erscheinungstermin: 24.04.2020
Label: ACT, 2020
Altes Werk und neuer Zauber:
Schuman liefert Ideen, Improvisationen gehören Johanna Summer
Achtunddreißig Minuten Klaviermusik mit weitgreifenden Improvisationen auf kompositorischer Grundlage von fünf Minuten Dauer.
Ein wenig Historie
Jazzadaptionen von klassischer Musik haben eine gewisse Tradition. Waren es zu Beginn dieses Genres eher die barocken Wurzel von Swing und Jazz, die es galt offen zu legen – nebst zahlreiche Interpretation von Beethovens Power-Klassik – so gelangten später auch andere Werke der Klassik in den Fokus der Jazztreibenden. Es liegt auf der Hand, dass es Kompositionen für klassisches Piano sind, die diese Unternehmungen (fast) provozierten.
Eine der wohl bekanntesten ist der französische Pianist Jaques Loussier, der mit dem programmatischen Titel „Play Bach“ den Boden für Nachfolgende vorbereitete. Auf die ausgezeichneten jüngsten Aufnahmen (Mein Beethoven, B-A-C-H) des Bassisten! Dieter Ilg mit seinem Trio sei hier nur verwiesen.
Auch Werke, die dem Impressionismus á la Français zugerechnet werden können, blieben vor solchen Versuchen nicht verschont. Gut so, denn sonst gäbe es nicht die herrlichen Improvisationen - des unlängst verstorbenen - Wolfgang Dauner, der 5 Themen aus dem Klavierwerk Le Tombeau de Couperin von Maurice Ravel in seiner höchst eigenen Art einspielte: Wolfgang Dauner Solo Piano 2.
Sinngemäß sagte Dauner damals den Medien, er wolle zeigen, dass man als Jazzpianist Ravel auch so spielen könne. Was die Kritik dazu meine, interessiere ihn nicht. Vermutlich hatte Dauner eher die klassische Konzertkritik im Sinn, mit ihren oft gnadenlosen - an Perfektion und werkgetreuer Interpretation - ausgerichteten Bewertungen. Von Seiten meiner Jazzberichterstattung kann ich sagen, dass diese Aufnahme eigenwillige und spannende Klaviermusik beinhaltet, die irgendwo zwischen klassischer Komposition und jazziger Interpretation oszilliert, den Ravel zum Swingen bringt.
Schumann Kaleidoskop
Wie verhält es sich mit Kompositionen für Klavier von Robert Schuman?
Werden auch die „zeitgemäß“ angeboten? Ja, das gibt es, ein brandheißes Album ist soeben erschienen. Schumanns Kaleidoskop heißt die musikalisch Auseinandersetzung mit seinen Kinderszenen. Die Pianisten Johanna Summer stellt sich der Herausforderung, mutig.
Die Kinderszenen sind bei Schumann sehr kurze musikalische Ideen, eher Skizzen von Ideen, die zwischen einer halben und 3,5 Minuten dauern. Bei Johanna Summer dauert selbst ihre kürzeste Interpretation drei lange Minuten. Die anderen Stücke des Kaleidoskops bewegen sich zwischen 10 und 12 Minuten. Demzufolge wird deutlich, dass der interpretatorische Rahmen nur als Folge von Improvisationen im Focus stehen kann. Die vier Szenen im Detail.
Glueckes genug - Erster Verlust
Es klingt an, kaum oder gar nicht erkennbar das Thema, ruhig getragen im Ausdruck. Das Stück könnte - gerade noch - als klassische Interpretation durchgehen, wenn individuelle Ausgestaltungen und Freiheiten zulässig wären und auf die markante Melodie verzichtet werden könnte. Das ist hier aber nicht gegeben. Demzufolge ist der Hörer dem Reich des Jazz sowie der freien Luft der Improvisation ausgeliefert.
Die Ideen variieren, Bewegung kommt auf. Klare Linien breiten sich wellenförmig aus. Der Spielfluss hält kurz inne, um zu verweilen, Luft zu holen, um dann rhythmisch akzentuiert den Faden wieder aufzunehmen, ihn weiter zu spinnen. Für den markanten Rhythmus sorgt die linke Hand, die tiefe Frequenzen gewaltig betont, während die rechte Hand munter darauf losspielt, sich vom scheinbaren Thema löst, „nur“ um eigensinnig ihre Spielfreude ausdrücken. Noch mehr Ruhe, kaum noch Bewegung, wenige sparsame Anschläge, ein Verharren im Raum, fast Stillstand. Das zwingt den Hörer zum Loslassen, Innehalten, ja – wer´s vermag – zur Meditation… wohltemperiert löst sich die Musik harmonisch auf.
Glueckes genug ist klassisch, dadurch gut betagt, erzählt von Johanna Summer wird sie zu einem neuen Märchen. Es ist die detailliert erzählte Ballade einer knappen musikalischen Idee mit den Mitteln heutiger Piano-Spielweisen, mit dem Vermögen von künstlerischer Individualität.
Von fremden Ländern und Menschen
Wieder klingt es balladenhaft, weit ruhiger als im Original, langsamer in den Tempi, anders im Rhythmus. Beschwingt bei Schumann der eingängige Dreitakter, so verlässt Summer die Walzerseligkeit. Dafür ertönt ein sanftes Schwelgen in leichter Melancholie. In ihrer epischen Tiefe erinnert dieses Thema ein wenig an die pianistischen Solo-Eskapaden der Jazz-Klassiker.
Mai lieber Mai - Ritter vom Steckenpferd
Das Original: Ein rhythmisch bewegtes, zupackendes Motiv findet leicht Gefallen, versprüht schon von den ersten Akkorden gute Laune und Frohsinn. Kräftige, expressive Klaviermusik im klassischen Gewand. Wie tönt das Motiv im Kaleidoskop?
Ein behutsamer, zurückhaltender Beginn. Ein Suchen nach Klangräumen, Ausprobieren von Sequenzen, Herantasten an die Vorlage. Das ist ein Erzählen von Geschichten, nicht in epischer Breite, dafür in epischer Tiefe. Das ist mehr, als Idee und Kurzgeschichte, die Musik gleich einer Novelle, dieser „unerhörten Gegebenheit“, die hier hörbar gemacht wird. Da sind viele Figuren und Motive zu entdecken. Die Ideen steigern sich, werden akzentuierter, Dramatik hält Einzug in die Tastenanschläge, um gleich darauf wieder zu einer balladesken Ruhe zurückzufinden. Jetzt ist Stille im Spiel, die Sequenzen strahlen Ruhe und Wohlgefallen aus. Wenn Kaleidoskop bedeutet, eine Sache von verschiedenen Seiten auszuleuchten, so trifft der Titel hier vollständig zu: eine musikalische Idee aus vielen Perspektiven hörbar zu machen.
Es wird treibender, rhythmisch markanter, freier in Intonation und Harmonie, einfach jazziger. Hier grüßen die großen zeitgenössischen Jazzpianisten ein wenig. Das ist aktuelle Piano-Musik zwischen den Genres von Klassik und Jazz. Das ist das Kaleidoskop der Johanna Summer. Schuman lieferte die Ideen, die Ausgestaltung ist ihre Sache. Ja, in Anlehnung an das Wolfgang Dauner-Zitat. Auch so kann Schumann gespielt werden, wenn eine klassisch ausgebildete Pianistin wie Johanna Summer letztlich jazztrunken die Tasten anschlägt.
Knecht Ruprecht – Träumerei
Ein populäres Stück, diesen Welt-Hit kennen alle. Genial eingängig und zeitlos betören die Melodien der Träumerei die Menschen, gaben und geben zahllosen Generationen eine Gebrauchsanweisung für ihre Tagträume. Was kann man, was kann frau da noch machen?
Teil 1. Einstieg in einen Power-Sound, harsche Akkorde in tiefsten Lagen, es geht voll zur Sache. Kein Thema, kein Motiv der Träumerei ist weit und breit zu erkennen. Stattdessen erschallen energiegeladene Piano-Anschläge. Ungeheuer rhythmisch haut die Pianistin Tasten und Tönen voll „auf die Fresse“. Das ist Rhythmus pur, geschlagen im buchstäblichen Sinne des Wortes.
Teil 2. Pause, Atem holen. Blitzen da nicht Motive der Träumereien auf? Vielleicht, wenn ja, dann zart und vorsichtig. Ein harmonisches Herantasten an die Thematik, noch gut versteckt. Es tönt allmählich nach klassischem Piano oder gar nach Spielweisen von Neuer Musik. Diese Passagen von ausbalancierter Ruhe erwecken durchaus Spannung auf das, was da wohl noch kommen mag. Jazz oder gar die Notation der Träumerei?
Teil 3. Ja, da blitz es auf, fast unhörbar, zerbrechlich. Die Tasten werden nicht geschlagen, höchsten angestuppst, touchiert, wenn nicht "gehaucht". Aber unverkennbar klingen jetzt die Ideen des Werks in einer fragilen Behutsamkeit. Nur nicht die Schönheit dieser Melodien und Harmonien stören, sie nicht verstören. Das passiert nicht. Zu hören ist im 3. Teil eine individuelle, dennoch klassisch legitime, Interpretation des Werkes, aus der akustischen Perspektive des Kaleidoskops von Johanna Summer.
- Glückes genug – Erster Verlust
- Mai, lieber Mai – Ritter vom Steckenpferd
- Knecht Ruprecht – Träumerei
- Von fremden Ländern und Menschen
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