Sophia Oster Quintett - Jubilation

Sophia Oster Quintett
Jubilation
Erscheinungstermin: 09.08.2021
Label: self-released, 2021
Gabriel Coburger - sax/fl
Giorgi Kiknadze - b
Jan-Phillip Meyer - dr
Patrick Huss - perc
THE MUSIC DOESN’T HAVE SO FAR TO GO
Jazz aus der Resonanz der Welt – das Debütalbum des Sophia Oster Quintetts: »Jubilation«
Als der damals noch schmächtige und sehr, sehr junge Kirk Douglas in Michael Curtiz Trompeter-Schmonzette »Young Man with a Horn« der Sängerin Doris Day erklären muss, warum er vom Klavier zur Trompete wechselte, sagt er mit dem strahlendsten seiner berühmten Kirk-Douglas-Blicke:
»I always liked the Piano before, but the trumpet … maybe because it’s so close to you? It’s like it’s a part of you. The music doesn’t have so far to go.«
»The music doesn’t have so far to go« – das ist wie ein Zaubervers für alle Musiker, die den Klang direkt aus sich, aus dem Körper, aus der Resonanz erzeugen können und damit eins werden mit Klang und Welt. Ungleich komplexer ist das für all jene Meister der Tasten, ihr Instrument ist so weit vom Körper entfernt wie nur denkbar, getrennt durch einen komplexen und vielteiligen Mechanismus. In erster Linie klingt hier der Instrumentenkörper, die große und eindrucksvolle Maschine und nicht der Musiker.
So galt denn der Pianist Glenn Gould auch zunächst als wunderlich, als er anfing, seine Bachtoccaten mit seinem Atem zu begleiten, ob seiner Exzellenz ließ man ihm das inzwischen ikonische Mitgegrummel durchgehen, auch in der sakralen Reinheit der klassischen Musik.
Wurzeln
Im Jazz hingegen gibt man sich in solchen Zusammenhängen offener – Slam Stewarts oktavierendes Mitsummen oder die Oberton-Experimente eines Albert Mangelsdorff gehören seit je zum Repertoire und zur Hörgewohnheit, und als der sogenannte Jazz-Papst Joachim Ernst Berendt in den frühen 80ern sein epochales Werk »Nada Brahma – die Welt ist Klang« veröffentlichte, wurde vermutlich auch der letzten Dixie-Kapelle klar, wie eng Körper und Klang miteinander verwoben sind. Nicht von ungefähr tituliert man auch die Hinwendung zu einem ganzheitlichen Klangverständnis als die spirituelle Spielart des Jazz. Schon in den 60er Jahren suchten Jazz-Musiker vor dem Hintergrund des politischen »Black Empowerments« auf verschiedensten Ebenen nach den »roots« ihres Genres und ihrer Musikerexistenz und öffneten sich sowohl den Musiktraditionen Afrikas als auch Asiens. Das führte dann, ganz folgerichtig, zur Erweiterung des Jazz-Begriffes und vor allem zu einem neuen Selbstverständnis der Musiker. Das Piano-Dilemma wurde durch diese Hinwendung zu anderen Kulturkreisen zwar nicht gelöst, aber erklärbarer.
Lieder singen
Hört man der jungen Hamburger Pianistin und Sängerin Sophia Oster zu, die vor kurzem ihr Debüt-Album »Jubilation« veröffentlicht hat, ist man dann auch heute mitten im Thema. Sie ist nicht nur eine außergewöhnlich elegante Klavierspielerin, energetisch und pointiert unterstützend für ihre Mitspieler zugleich, sondern sie stellt sich der Frage nach der Entstehung von Klang und Stimme auf eigene Weise.
Nicht ganz von ungefähr beginnt das Album mit einer Hommage an Chick Coreas »Children’s Song« – in ihrer Adaption »Children’s Play« findet die Liedhaftigkeit des pentatonischen Klassikers ihren Widerhall in ihrer Gesangsstimme – frei über der Melodielinie schwebt eine textlose Vocalise. Es ist eine Art freier Glossolalie, jener direkt eingegebenen Zungenrede früher Mystiker, direkt aus dem Kern der Harmonie. Und nun vereinen sich Pianistin und Sängerin zu einem einzigen Klangkörper – die Stimme überbrückt die Distanz zwischen Instrument und Klang. Unterstützt wird sie dabei vom atmenden Urinstrument schlechthin, der Flöte. Die spielt der Doyen der Hamburger Jazzszene, der Saxophonist Gabriel Coburger, höchstpersönlich. Wer dabei an die Zusammenarbeit zwischen Corea und Steve Kujala in den 80ern denkt (»Voyage«), ist nicht so weit entfernt vom Klangbild dieses Introstücks.
Die ganze Welt
Coburger, der in seiner langen Karriere schon mit vielen internationalen Musikern auf der Bühne stand, nennt diesen Ansatz »Weltmusik«. Damit meint er offensichtlich nicht jene gut gemeinte interkulturelle Musik-Konversation, die einst von Popmusikern wie Peter Gabriel geprägt wurde und seitdem ein vielgeliebtes Fach in den Regalen der CD-Abteilungen hat, sondern eine in der Tradition des spirituellen Jazz stehendes grenzüberschreitendes Klangverständnis, das er nach Kräften mit Brüchen zu versehen versucht. Sein oft rau und dynamisch klingender Saxophon-Sound, der in so unterschiedlichen Gruppierungen wie seinem eigenen Quintett Jean Paul oder den Berliner Free-Dynamikern um Oliver Steidle brillieren kann, war nie näher an der großen klanglichen Inspiration durch Wayne Shorter als hier.
Nun darf man das Konzept von »Jubilation« nicht allzu sehr in die Retro-Ecke schieben, trotz aller Bezüge zu den großen Vorbildern ist hier eine fein abgestimmte Band des Modern Jazz zu hören, deren Soundidee sich »akustisch« und klangorientiert präsentiert. Dazu gehört Giorgi Kiknadzes erdig-strammer und rhythmisch versierter Bass, Philipp Meyer und Patrick Huss verfestigen die rhythmische Grundlage des Ensembles mit Drums und Perkussion.
Reduktion und große Oper
Gäbe es eine gestalterische Essenz dieses Albums, dann wäre sie sicherlich in »It’s quiet now« zu finden. Das ist eine langsam akzelerierende Ballade, eine Text-Collage positiver Utopien aus Lyrik und allerlei Sentenzen zu Glück und Frieden, Spoken-Word-Rezitation. Für sich allein genommen, könnte man solch einen Ansatz für naiv halten, doch es ist eben nicht das uneingelöste Versprechen schlichter Weltverbesserung von YouTube-Sternchen vom Schlage einer Julia Engelmann. Denn der musikalische Klang schlägt bald die Behauptung und hebt die schlichte Utopie auf eine andere, glaubwürdigere Ebene. Zu Beginn sind es noch irrlichternde Gedanken zu fein ziseliertem Klavierspiel, gebunden durch die Rhythmusgruppe. Doch nach wenigen Takten greift Gabriels Coburgers Bassklarinette ein, übernimmt den Gegenpart, aus dem Monologisieren wird ein Dialog, und führt die Melodielinie stringent weiter. Das ist noch „harmonisch“, unterfütternd, Basis schaffend. Doch zur Hälfte des Takes kippt der Grundton, wird hymnisch, der knarrende Sound des Blasinstruments mischt sich ein, drängt in den Vordergrund und überführt die Gedankenwelt in seinen präsenten Klang und übernimmt die Atemlinie des Gesangs – aus der persönlichen Meditation wird ein Manifest, eine Forderung, ein politischer Grundsatz. Musik wird zum Wort, Wort zur Musik. Im Grunde ist dies genau der Effekt, den auch die Oper so einnehmend machen kann, nicht die theoretische Frage nach all den Worten oder der Musik stellt sich. Die Ausdrucksformen ergänzen einander und schaffen eine neue Welt, einen neuen Atem, einen neuen Klang. »The music doesn’t have so far to go«.
- Children's Play
- Nanaimo
- Jubilation
- The Curtain
- Invisible Gleam
- How Am I to Know
- Sunrise At the Harbor
- Izvor
- It's Quiet Now
- Turn Out the Stars
- Joana's Song
- Bowie
- Unconditional Love
Einen Kommentar schreiben