Anamorphosis - Bird’s Eye View

Anamorphosis
Bird’s Eye View
Erscheinungstermin: 16.06.2023
Label: XJAZZ! Music / The Orchard, 2023
Antonia Hausmann - tb
Franziska Ludwig - cello
Sebastian Wehle - sax, cl
Volker Heuken - vib
Robert Lucaciu - bass
Philipp Scholz - dr, perc
Johannes Moritz - c, b-cl, comp
„Ein Septett, – warum tut man sich das eigentlich an?!“, so lachend der 1980 geborene Saxofonist und Klarinettist Johannes Moritz über seine 2021 gegründete Band Anamorphosis. Diesen Sommer erscheint mit ‚bird’s eye view‘ das erste Album des Ensembles auf dem Berliner Label XJAZZ! Music.
Der Begriff anamorphōsis stammt aus dem Griechischen und meint wörtlich Transformation. Im Bedeutungsumfeld dieser Übersetzung finden sich zwar Worte, die als verkürzende Beschreibung von Johannes Moritz’ Konzept und Idee für seine Band und die anstehende Veröffentlichung dienen könnten, dennoch bringt er es selbst am eindringlichsten auf den Punkt: „Ich möchte runter vom Wohlfühl-Sofa, raus aus meinem Blickwinkel und das ist die Besetzung die klanglich in mir entstanden ist.“
Zur Sichtbarkeit des Schaffensprozesses hinter Anamorphosis ‚bird’s eye view’ ein Blick zurück: 2017 spielte Moritz mit seinem Quartett Das Blaue Pony bestehend aus Sebastian Wehle (Tenorsaxofon), Robert Lucaciu (Kontrabass) und Philipp Scholz (Schlagzeug) ein letztes Konzert. Ein Jahr zuvor waren seine Zwillinge auf die Welt gekommen und er begreift die Herausforderung. Der Fokus im Alltag des jungen Vaters verschob sich, das eigene Band-Projekt musste erst einmal hinten anstehen. Für Moritz begann so neben und mit seiner vermehrten Lehrtätigkeit an den Musikhochschulen in Dresden und Leipzig eine Zeit des Hörens, Ideensammelns und der Reflexion: „Die Zeit zum Musikhören war wieder da, ich konnte wieder eintauchen.“ Zudem führte die vermittelnde und unterrichtende Tätigkeit zurück zu seinen musikalischen Wurzeln. Mit sechs begann der Leipziger Klavier zu spielen, mit Zwölf der Wechsel zur Klarinette. Über neue musikalische Einflüsse – insbesondere durch das Interesse am HipHop – folgte das Saxofon und seine bis dato ausschließlich klassische Ausbildung wurde erweitert. Als Mittdreißiger nun eine Rückkehr zur Neigung aus den ersten Jahren des Musiklernens und- erlebens. Anregende Begegnungen mit neuen Kolleg:innen aus der Leipziger Szene kommen hinzu und schlagen sich schließlich auch in der Besetzung von Anamorphosis nieder.
Mitten im Bemühen um Perspektivenwechsel und mit einer Sammlung seiner seit 2016 entstandenen musikalischen Ideen im Hinterkopf, steht Johannes Moritz im Spätsommer 2021 an der Ostseeküste. „Total verregnet“ sind diese Urlaubstage und trotzdem treibt es Moritz „für ein bisschen Input“ raus an den Strand. Vorausgegangen war die Lektüre von „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari und mit dieser „haben sich mir noch einmal neue Blickwinkel erschlossen“, erzählt Moritz rückblickend und folgt durchnässt und angeregt vom Gelesenen sich weiter verzweigenden Wegen der Recherche.
Anamorphose, die:
Gebrauch: Kunstwissenschaft
Bedeutung: Die für normale Ansicht verzerrt gezeichnete Darstellung eines Gegenstandes
Aus: Der DUDEN
In dieser Stimmung entstehen die acht Kompositionen des vorliegenden Albums für das im selben Jahr formierte Septett, die Band bekommt ihren Weite auffächernden Namen, im Oktober 2021 folgt das erste Konzert im Theaterhaus Schille in Leipzig und bald darauf die dreitägige Aufnahme-Session in den Off-Road Studios, ebenfalls in Leipzig. Dass Moritz der Community-Gedanke wichtig ist, zeigt sich nicht zur bei der Besetzung seiner Band, formiert aus etablierten und weit über ihre heimische Szene hinaus bekannten Spieler:innen der sächsischen Stadt, sondern ebenfalls in der Wahl des Sound Engineers Nico Teichmann für die Aufnahme von ‚bird’s eye view‘. Dieser ist unter anderem auch für den Live-und Aufnahme-Sound der Big-Band Spielvereinigung Sued verantwortlich zeichnet, deren Gründungsmitglied Johannes Moritz ist.
„Ich habe hier großartige Leute“ sagt Johannes Moritz, meint die Szene seiner Geburt- und Heimatstadt Leipzig und rückt einmal mehr seine Mitmusiker:innen in den Fokus, mit denen er so gerne zusammenarbeitet und von deren individueller Stärke Anamorphosis lebt. Den Vibrafonisten Volker Heuken und die Cellistin Franziska Ludwig hat Moritz über die Arbeit mit dem Philipp Rumsch Ensemble kennengelernt. „Volker hat mich sofort begeistert und der Klang von Metallofonen fasziniert mich“. Ludwig kam als Letzte zur Besetzung hinzu und Moritz schätzt den Austausch mit jemanden, der nicht ursprünglich aus dem Jazz-Bereich kommt. In dieser Wahl spiegelt sich Moritz’ neu erwachte Neugier an klassischer Musik. Die Posaunistin „Antonia Hausmann hat eine andere klangliche Herangehensweise als Kolleg:innen an ihrem Instrument“ findet Moritz und ergänzt „mir geht es um den persönlichen Klang der Spieler:innen; was auf dem Blatt steht, ist nicht in Stein gemeißelt.“ Die Besetzung des vormaligen Quartetts mit Robert Lucaciu am Kontrabass, Saxofonist Sebastian Wehle und Philipp Scholz verbleibt das Fundament von Anamorphosis – „wir haben in den letzten Jahren ganz unterschiedliche Entwicklungen gemacht, umso spannender, endlich wieder zusammen Musik zu machen“, ergänzt Moritz.
Für Johannes Moritz ist sein siebenköpfiges Ensemble Anamorphosis die beste Ausdrucksform und das anstehende Album-Release ‚bird’s eye view‘ das ideale Format, um sein Erleben der Gegenwart und einen persönlichen Reifeprozess inhaltlich wie musikalisch auf den Punkt zu bringen. Alle Titelnamen sind geprägt von Erfahrungen und Emotionen, die er in jüngerer Vergangenheit durchlebt und reflektiert hat. „Das sind Themen, die mich mitgenommen, berührt oder wütend gemacht haben und es wäre toll, wenn die Leute über die Musik zu den Inhalten dahinter gelockt werden würden“, so Moritz nachdenklich.
Assoziation, die mit dem Album betitelnden Stück ‚bird’s eye view‘ – die Sicht aus der Vogelperspektive – einhergehen, stehen versinnbildlichend für die durch Anamorphosis angeregte Stimmung: Perspektivenwechsel erzeugt Weite. Die Instrumentierung des Septetts und die Ausführung der Spieler:innen erzeugt einen warmen, zur wachen Kontemplation anregenden Klang, der sich seinen Hörer:innen mit Klarheit zeigt und durch das Verschieben harmonischer Ebenen und rhythmischer Motive einen Raum erzeugt, der zum Verweilen einlädt und zum Durchgehen gemacht ist. So ist allzeit die Reflexion und das Überschreiten des Moments durch individuelles wie gemeinsames musikalisches Vermögen Gegenwart.
jazz-fun.de meint:
Wir leben in einer Zeit, in der fast alles gesagt ist. Aber es gibt immer noch Künstler, die auf der Suche nach Neuem sind. Sie versuchen, neue Worte, neue Ausdrücke oder sogar ganz neue Sprachen in der Musik zu finden. Dieses Album ist so ein Fall: Wir scheinen alles zu kennen, aber es gibt immer noch "etwas", das es wert ist, gehört zu werden. Sehr empfehlenswert!
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