Die Unwucht feat. Achim Kaufmann - Red And Blue Don't Make Purple

Die Unwucht feat. Achim Kaufmann - Red And Blue Don't Make Purple

Die Unwucht feat. Achim Kaufmann
Red And Blue Don't Make Purple

Erscheinungstermin: 08.04.2022
Label: label 11, 2022

Die Unwucht feat. Achim Kaufmann - Red And Blue Don't Make Purple - bei bandcamp kaufen

Christopher Kunz - sopran-/ tenorsaxophone
Florian Fischer - drums
Achim Kaufmann - piano

März 2021. Köln. Im Blitzlicht einer Kamera eingefangen: Späte Schneeflocken und drei Musiker, die wenige Augenblicke später und sobald die Wärme zurückgekehrt ist mit den Aufnahmen für ihr erstes und zugleich letztes gemeinsames Album in dieser Konstellation beginnen werden. Red And Blue Don’t Make Purple erscheint nunmehr etwa ein Jahr nach dem ersten Aufeinandertreffen von Saxophonist Christopher Kunz, Schlagzeuger Florian Fischer und Pianist Achim Kaufmann auf label 11 und erzählt in neun Stücken vom gemeinsamen Aufnahmeprozess der Drei an zwei Tagen im LOFT Köln, die sich ohne konzeptionellen Überbau dem Musizieren hingaben, um individuell und als Ensemble auf Zeit eine musikalisch klare Aussage zu treffen. Red And Blue Don’t Make Purple lässt sich als Dokumentation einer Begegnung hören; als ein kurzzeitiges Innehalten und Aufeinander-Einlasen in der fortdauernden Bewegung dreier Musiker, welche laufenden Prozessen schlüssige Enden zu verschaffen wissen.

Pianist Achim Kaufmann lebt in Berlin. Den 1962 geborenen führte es nach seinem Studium in Köln und prägenden Momenten mit u. a. Dave Holland, Steve Coleman, Muhal Richard Abrams, George Lewis und Steve Lacy für einige Jahre nach Amsterdam, wo er Teil der hochkarätigen Improvisationsszene der Stadt war. Er ist Träger des SWR Jazzpreises und des Albert-Mangelsdorff-Preises. Seit 2018 ist Kaufmann Professor für Jazzklavier an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Zu seinen Projekten gehört das Trio Grünen und Kaufmann/ Gratkowski/de Joode. Der Pianist arbeite bereits mit einer Vielzahl renommierter nationaler und internationaler Musiker*innen wie beispielsweise Jim Black, Tomasz Stańko, Steve Swallow, Peggy Lee, Hans Burgener oder Lina Allemano zusammen. Jüngste Veröffentlichungen seiner Projekte erschienen teilweise auf seinem eigenen Label Trokaan.

Gegenwärtiger Schaffensschwerpunkt des Saxofonisten Christopher Kunz ist die Auseinandersetzung mit genreübergreifender Musik und interdisziplinären Projekten. Beispielhaft hierfür sind die mit dem Bruno-Rother-Jazzpreis ausgezeichneten Trios G.I.G.E.R. und Flut. Kunz studierte zunächst an der HfM Nürnberg bei Steffen Schorn, Klaus Graf, Hubert Winter und Stefan Karl Schmid, anschließend im Master und gefördert durch das Deutschlandstipendium an der HMT Felix Mendelssohn Bartholdy Leipzig bei u.a. Johannes Enders und Michael Wollny. Ebenfalls in Leipzig wurde Kunz 2020 mit der Band Perplexities on Mars mit dem Jazznachwuchspreis der Stadt Leipzig ausgezeichnet. Mit diversen Projekten war er bereits auf nationalen wie internationalen Festivals wie dem NUE Jazz Festival Nürnberg, Peronas Jazz Festival Vilnius, Jazzfestival Burghausen, Emsdettener Jazztage und der Jazzrally Düsseldorf vertreten.

Das aktuelle Schaffen des 1993 geborenen Schlagzeugers Florian Fischer bewegt sich im Spannungsfeld zwischen traditionellem Jazz, Theatermusik, Performance und Freejazz. Er studierte an der HfM Nürnberg bei u.a. Hans Günter Brodmann, Matthias Rosenbauer und Johannes Nied. 2017 erhielt er das Deutschlandstipendium und wurde mit dem Bruno-Rother- Jazzpreis ausgezeichnet. Seit 2019 studiert er am Jazz Institut Berlin bei Heinrich Köbberling. Als Sideman, Bandleader und Workshop-Dozent ist Fischer national und international tätig. Zudem erhält er regelmäßig Engagements in deutschen Theaterhäusern. Konzerte spielte er unter anderem bereits mit Roger Hanschel, Steffen Schorn, Jürgen Neudert, Bernhard Pichl, Klaus Graf und Thilo Wolf. Unterricht erhielt er zudem bei Ted Poor, Knut Alefjaer, Sullivan Fortner, Billy Hart, Oliver Steidle und Jean Paul Höchstädter.

Kunz und Fischer lernten sich während des Studiums an der Hochschule für Musik in Nürnberg kennen. Ankerpunkt ihres aktuellen gemeinsamen Schaffens bildet das Duo- Projekt Die Unwucht, mit dem sie sich mit unüberhörbarer Lust am Spiel in freien Improvisationen zwischen Klang und Nicht-Klang, zwischen Ganzem und Einzelnem, zwischen An-und Auseinandernehmen mit Zuständen des Aus-dem-Gleichgewicht- Seins spielen, um letztlich in einen gleichberechtigten Dialog zu finden. Hören ließ sich das zuletzt auf ihrem im Juni 2021 bei HatHut Records veröffentlichten Debütalbum, auf welchem die beiden mit bedingungsloser Offenheit für den Moment ihre eigene Gestaltungskraft ausloten.

Beiden Musikern ist daran gelegen, sich mit und in ihrem Projekt Die Unwucht auszuprobieren und nicht der Stagnation anheimzufallen. Vor diesem Hintergrund war die Öffnung des Duos für ein Trio-Projekt der folgerichtige nächste Schritt in der gemeinsamen Entwicklung. In dem für sein nuancenreiches und detailverliebtes Spiel bereits vielfach ausgezeichneten Pianisten Achim Kaufmann haben Fischer und Kunz für ihr Vorhaben den passenden Spieler gefunden. Christopher Kunz spricht von einer „ästhetischen Anfrage“, wenn er von der Entscheidung für die Kontaktaufnahme mit dem 1962 geborenen Pianisten spricht. Seit etwa drei Jahren beschäftigt er sich tiefergehend mit Kaufmanns Schaffen, erlebte ihn unter anderem mit seinem Projekt GRÜNEN, zu dem neben ihm selbst Robert Landfermann am Bass und Schlagzeuger Christian Lillinger zählen, live und resümiert rückblickend: „Ich bin einfach ein Riesenfan!“. Überdruss könne bei der Vielheit an Harmonien und Melodien, mit denen Kaufmann spielt, nicht einkehren und Fan zu bleiben sei so ein Leichtes, da er sich schlicht nicht „satthören“ und stets Neues entdecken könne. Kaufmann zeigte sich rasch interessiert an der experimentierfreudigen Haltung und Arbeit der beiden Anfang der 90er-Jahre geborenen Musiker und so konnte der Plan 2021, zu dritt eine Reihe von Konzerten zu spielen und ein Album einzuspielen Form annehmen.

Drängend und wuchtig impulsiv eröffnet das Trio mit Präliminar das Album. Dem Wortsinn nach eine einleitende Bemerkung oder Vorverhandlung wird das Stück seinem Namen gerecht. Aus der Ruhe heraus anschwellend, bringen sich alle Spieler nach und nach mit Vehemenz zu Gehör, ohne einander dabei übertönen oder übertrumpfen zu wollen. Vielmehr wird durch gegenseitiges achtsames Aufeinanderzugehen und zeitweiliges flirrendes Überlappen ein Fundament für das nachfolgende Experimentierfeld gelegt.

Das anschließende Chiaroscuro lehnt sich tieftönend und wie ein langes Ausatmen immer wieder der Stille entgegen, um sich schließlich in ihr auszuschleichen. Der Titel bezeichnet ein aus der Malerei entlehntes Gestaltungsmittel, welches sich durch die Arbeit mit Hell und Dunkel und deren kontrastierender Wirkung für das betrachtende Auge auszeichnet. Das Spiel mit Licht und Schatten aus der Bildenden Kunst wird bei Die Unwucht feat. Achim Kaufmann zum raumgebenden Wechselspiel von Klang und seiner Abwesenheit.

The Diachrony of Ditransitives sticht inmitten der sonstigen Miniaturen bereits durch seine fast neunminütige Dauer hervor. Innerhalb derer entspinnt sich ein spannungsreiches Gespräch, dessen Beginn und Ende von zarter Leichtigkeit ist. Der Exzess der Mitte wird vorrangig getragen vom rauschhaft geführten Dialog Kunz und Kaufmanns, in welches sich Fischer zunächst zurückhaltend akzentuierend und dann, wie sich der Überzeugungskraft seiner Argumente bewusst werdend, immer lebhafter einzumengen versteht.

Mit Phymateus schließt das erste von zwei Stücken im Duo an. Fischer und Kunz haben sich bewusst gegen Duos miteinander und für je ein musikalisches Zwiegespräch mit Kaufmann entschieden, was abermals in den Fokus rückt, dass es den beiden Musikern bei diesem Projekt nicht um die Fortführung ihrer bestehenden Ideen geht, sondern insbesondere um die Herausforderung und die Chance der Öffnung hin zu einem Dritten, dessen Präsenz in den einzelnen Stücken und dem Album im Gesamten keine kalkulierte, fest bemesse Größe, sondern stets einfach eine Möglichkeit gewesen ist.

In Diptychon – dem zweiteiligen Bildnis, – entwickeln die drei Musiker aus einem Nebeneinander geräuschhafter Impulsivität und songhafter Virtuosität ein ineinander Fließen ihrer individuellen musikalischen Färbungen, wodurch sich den Hörenden abermals ein gemeinsames Klangbild assoziiert.

Dynamisch schließt Primofiore an. Kaufmann und Kunz eröffnen das Stück abermals im treibenden Dialog, dem Fischer durch wohlplatziertes Spiel eine soghafte Entwicklung hinzuzufügen weiß.

Der einander haschende Flug sonnenberauschter Zitronenfalter ließe sich zu Running Sanguine, dem zweiten Duo-Stück des Albums, trefflich in Szene setzen. Kaufmann und Fischer zwirbeln ihr schwirrendes Spiel ineinander und versprühen dabei ebenjene fröhliche Lebhaftigkeit, die bereits der Titel verspricht.

Cirrus, das vorletzte Stück, zeichnet mit leicht melancholischer Färbung die Linie eines entfernt liegenden Horizonts nach. Während Kunz formgebend erzählt, entfalten Fischer und Kaufmann ein bewegliches Fundament, welches den schwermütigen Anklängen ihre Tiefe nimmt.

Das Titelstück Red And Blue Don’t Make Purple bildet den Abschluss des Albums und korrespondiert gewissermaßen mit dem eröffnenden Präliminar, welches als Auslotung des gemeinsamen Experimentierfelds am Beginn stand und dessen atemlose Impulsivität in den letzten gemeinsamen Momenten von Kunz, Kaufmann und Fischer wiederaufgegriffen wird. Auffallend ist hier erneut die Präsenz der einzelnen Spieler, die jeder für sich und gemeinsam als temporäres Ensemble ihre Freude an überbordenden Klangeskapaden ausreizen, dabei einander jedoch nie in diesen Ausschweifungen verlieren, sondern vielmehr durch Zuhören und Aufeinandereingehen, individuell besondere Momente stets in einen gemeinsamen Klang zu überführen wissen.

Titel um Titel wird offenbarer: Red And Blue Don’t Make Purple ist nicht für ein Nebenher gemacht. Dieses Album muss gehört werden! Was meint: Die Unwucht feat. Achim Kaufmann haben kein vorübergehendes akustisches Rauschen kreiert, sondern vielmehr einen 49:12 Minuten umfassenden musikalischen Raum geschaffen, der aufgrund seiner Details zum aktiven Zuhören, Innehalten und Wiederhören einlädt.

Text: label 11

jazz-fun.de meint:
Es ist schwierig, mit Worten zu beschreiben, was auf dieser Bühne geschieht. Manchmal sprühen die Funken aus den Instrumenten und die musikalische Intuition führt die Künstler makellos durch alle Spuren ungehemmter Improvisation. Trotz des spärlichen Instrumentariums haben wir hier, dank der Vielseitigkeit der Ausdrucksmittel, eine Vielzahl von Klängen und wundervollen Wendungen musikalischer Aktionen. Die ganze Sache hört sich an wie ein verrücktes schamanisches Ritual. Trotz des ganzen Wahnsinns funktioniert hier alles wie bei einem Schweizer Uhrwerk. Ein großartiges Album, gespielt von Meistern ihres Fachs!

  1. Präliminar
  2. Chiaroscuro
  3. The Diachrony Of Ditransitives
  4. Phymateus
  5. Diptychon
  6. Primofiore
  7. Running Sanguine
  8. Cirrus
  9. Red And Blue Don't Make Purple

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