Dobrawa Czocher - Dreamscapes

Dobrawa Czocher
Dreamscapes
Erscheinungstermin: 27.01.2023
Label: Modern Recordings, 2022
Überall auf der Welt üben Träume eine Faszination auf Künstler:innen aus und inspirieren ihr kreatives Schaffen. Wie sich diese Erfindungen des unbewussten Geistes gleichzeitig sowohl traumhaft als auch real anfühlen, wie sie in der Lage sind, Zeit zu verdrehen, verkürzen oder auszudehnen, oder die Verbindung, in der sie zu unserem Leben im Wachzustand stehen könnten – all das sind Fragen, die Menschen von Debussy über Dalí bis hin zu Kafka inspiriert haben. In ganz ähnlicher Art und Weise haben diese Gedanken den Anstoß zu Dobrawa Czochers Debütalbum gegeben, das passenderweise den Namen DREAMSCAPES trägt. Die polnische Cellistin und Komponistin nimmt ihr Publikum darauf mit auf eine Reise ins Unbewusste, wo sie mit Hilfe von Klängen den mystischen Reichtum von Träumereien erkundet.
Im reifen Alter von gerade mal 30 blickt Czocher bereits auf eine vollkommene Musikkarriere zurück. Nach Abschlüssen an den zwei angesehenen Musikhochschulen Chopin-Universität Warschau und Hochschule für Musik Detmold wurde sie zu- nächst Mitglied der Jungen Deutschen Philharmo- nie und später sowohl erste Solocellistin der Neuen Philharmonie Berlin als auch Solistin der Szczecin Philharmonic. Während dieser fordernden Jahren erlangte Czocher ein tiefes Verständnis für das klassische Repertoire und wurde zu einer hervor- ragenden Cellistin. Zusammen mit ihrer guten Freundin, der polnischen Pianistin Hania Rani, wagte sie sich erstmals an das Komponieren. Das erste gemeinsame Projekt namens Biała flaga veränderte die Perspektive Czcochers nachhaltig: vom alleinigen Konzentrieren auf die Weiterent- wicklung spielerischer Fertigkeiten hin zum Wunsch, sich freier auszudrücken, wurde das resultierende Album hochgelobt und zog die Aufmerksamkeit auswärtiger Kritiker auf sich. Es folgte Czochers und Ranis zweites Album Inner Symphonies, das auf Deutsche Grammophon veröffentlicht wurde und weltweit Anerkennung fand. Neben ihrer technischen Brillanz auf dem Cello, die sie seit dem siebten Geburtstag entwickelte, ist es die Natürlichkeit, mit der Czocher philharmonische Musik mit alternativen Ansätzen im Hinblick auf Aufnahmetechnik und Sound vermischt und damit die Fantasie des Publikums bisher eingefangen hat.
DREAMSCAPES verdeutlicht, wie wohl sich die Cellistin dabei fühlt, zwischen klassischer und gegenwärtiger Musik hin und her zu pendeln und in der Musik sind Einflüsse wahrzunehmen, die von Brahms bis hin zu Philipp Glass oder GoGo Penguin reichen. Für das Album arbeitete Czocher mit dem Produzenten Niklas Paschburg, der Techniken des Übereinanderschichtens als auch Effekte benutzte, um der Musik filmische Qualität zu verleihen.
Wenn auch nicht streng linear, so folgen die zehn Tracks auf DREAMSCAPES einer natürlichen Reihenfolge. Die Reise beginnt mit Prologue, das mit seine hohen Flageoletts weite, raumgreifende Klänge öffnet, die auf den Vorgang des Einschlafens und das Eintauchen in die Welt der Träume mit all ihren grenzenlosen Wundern und Geheimnissen anspielen. „Das Gefühl und die Atmosphäre passte zu einem offenen, noch nicht klar definierten Abenteuer, das noch vor einem liegt“, sagt Czocher über das Stück. Die Musik lockt die Zuhörer:innen in dieses alternative Universum - mit Hilfe wiederkehrender Motive, improvisatorischen Arpeggios, mysteriösen Bass- linien und Glissandi, die unglaubliche Landschaften in jedem neuen Track malen. Doch so filmisch die Musik auch sein mag, sie geht über das Sichtfeld hinaus und reflektiert tiefere Gefühle. Auf Forgive berührt Czocher die dunklen Abgründe der Seele als würde sie die bloße Bedeutung von Träumen und die Art, wie sie ihrem Betrachter auf geheimnisvolle Weise helfen, hinterfragen. „Sind wir in der Lage, in einem Traum auf unser Unterbewusstsein einzuwirken? Vielleicht ist im Schlaf der Moment, in dem wir uns tatsächlich mit ihm verbinden und es uns besondere Möglichkeiten offenbart, an inneren Konflikten zu arbeiten?“, fragt sich die Komponistin. Ganz klar von Glass’ Streichquartetten abgezeichnet, benutzt das Stück Wiederholungen als Möglichkeit, Zuhörer hypno- tisch tief in diese Reflektionen aber auch die Klangwelt der Komponistin hineinzuziehen.
Während die erste Hälfte des Albums hauptsächlich der Schaffung reichhaltiger Atmosphären, Farben und Texturen dient, geht die Action in der zweiten Hälfte richtig los. Voices bildet zweifellos den Höhepunkt der Reise - vielschichtig und komplex liefert das Stück eine kaleidoskopische Version musikalischer Motive „wie viele Stimmen, die versuchen, in diese oder jene Richtung zu drängen“, fügt die Cellistin hinzu. Die schnelle und dynamische Struktur des Stückes entsteht durch eine einfache Spieltechnik namens Détaché, die einen dramatischen Effekt erzeugt - nicht ganz alptraumhaft, aber doch verwirrend. Auf das Stück folgt Lullaby, das die nötige Erleichterung schafft. Lang, friedvoll und lyrisch bildet das Stück eine Ode an die allgemeinzugängliche Magie des Schlummerns. Es liegt hier eine Klarheit in der Cellostimme, als würde sie auf die Wahrhaftigkeit zeigen, die Träume in sich tragen können, selbst wenn sie flüchtig von kurzer Dauer sind. Prayers führt die gefühlvolle Natur von Lullaby fort, doch jetzt beginnt eine Intensität um die Melodie herum zu brodeln, die mit Arpeggios aufgebaut wird.
Das letzte Stücke auf DREAMSCAPES namens Epilogue ist das einzige ohne jegliche Nachbear- beitung. Epilogue stellt die Rückkehr ins Wachsein dar, eine Nüchternheit ohne die komplette Fantasie der Träume, wo Czocher Pizzicato-Linien auf dem Cello benutzt, um die Melodie einfach zu singen. Diese Rückkehr in die Realität ist trotzdem nicht vollkommen zurückhaltend, umwickelt sie das Album doch mit mehr Fragen als Schlussfolge- rungen. „Was ist in einem Traum passiert, sind wir immer noch hier? Sind wir dieselben Menschen? Hat er uns verändert? Wo sind wir hingegangen?“, regt Czocher an.
jazz-fun.de meint:
Dieses Album führt uns in eine Welt der Stille und Konzentration. Jedes Werk hat seinen eigenen Charakter, doch einige Merkmale sind allen gemeinsam: Sparsamkeit der Mittel, Nachdenklichkeit und Klarheit der Form. Hier gibt es keine virtuosen Feuerwerke oder emotionalen Ausbrüche, sondern nur eine Klanglandschaft, zart und doch präzise und ausdrucksstark.
- Prologue
- Doppelgänger
- Chasing the Now
- Forgive
- Zima
- March
- Voices
- Lullaby
- Prayers
- Epilogue
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