Janning Trumann - Emotional Reality

Janning Trumann - Emotional Reality

Janning Trumann
Emotional Reality

Erscheinungstermin: 21.05.2020
Label: Tangible Music, 2020

Janning Trumann - Emotional Reality - bei bandcamp kaufen

Janning Trumann - trombone, composition
Simon Nabatov - piano
Dierk Peters - vibes
Drew Gress - bass
Jochen Rueckert - drums

Wer die gewaltigen Klangwelten der Posaune mag, die vor Kraft strotzend das musikalische Geschehen führend bestimmt, dem wird dieses Album gefallen. Wer darüber hinaus das ausführliche musikalische Statement in Form von überwiegend frei gespielten Jazz schätzt, der ist mit dem jüngsten Projekt des Posaunisten Janning Trumann noch besser bedient. Und wer dazu noch die filigranen Klangfarben des Vibrafons als Ergänzung zum Blech liebt, der wird mit dieser CD (vermutlich) sehr zufrieden sein. Die Titel im Detail:

Real
Von Anfang an legt sie los: die Posaune, kraftvoll mit treibenden Tonfolgen, sogleich munter und frei aufspielend. So wird es auch bei den meisten der übrigen Titel sein: ein Sound der voluminösen, tieflagigen Posaune mit dem ruppigen Charme von Energie, tiefer Emotionalität und einer ungehörigen Portion an ungezügelter Expressivität. Es kommt nicht von ungefähr, dass das „Jüngste Gericht“ mit den Fanfarenklängen der Posaunen eingeleitet werden soll. Falls es so kommen sollte, so klingt es vermutlich wie ein gnadenloser, ohne Kompromisse, geblasener freier Jazz – einfach Posaunen-Power.

Das Piano von Simon Nabatov macht mühelos weiter. Swingendes, unbändiges Piano-Spiel eines Altmeisters. Klar, damit es derart abgeht müssen Bass und Drums ihren Part souverän abliefern, was auch der Fall ist. Zum Abschluss noch mal die Posaune.

Detached
Die Posaune beendet nicht nur viele Titel, sie startet sie auch, jetzt im Dialog mit den perlenden Klängen des feinmaschigen Vibrafons von Dierk Peters. Das gibt interessante Spannungspole, aus denen sich ein Sound des Quartetts bzw. des Quintetts ergibt, wenn Simon Nabatov die Tasten schlägt. Hier trifft keine Variation des legendären Sounds des „Modern Jazz Quartett“ auf die Posaune von Janning Trumann. Es tönt ein neuer Sound, der mit den zarttönenden Liebreizen des Vibrafons und der kraftstrotzenden Linie des Bleich kokettiert und eine neue Liaison eingeht.

Sanctuary
Für Projekte wie Emotionale Realitäten sind wohltönende Ballade in der Art von Sancturay wohl unverzichtbar. Wieder ertönt ein kurzes Zwiegespräch zwischen der melodischen Perkussion des Vibrafons und dem wuchtigen Blech der Posaune. In die sich auftuende musikalische Lücke springt der Bass von Drew Gress, ein melodisches Solo behutsam zupfend. Keine Ballade ohne die warmen Klänge und Figuren eines Kontrabasses! Die Übergabe des Solo-Zauberstabs geht ans Vibrafon, das sich ebenfalls für klare Linien in ihrem bedächtigen Solo entscheidet. Da kann sich auch das Blech nicht mehr zurückhalten. Auch Balladen sind hervorragend für die Posaune geeignet, so sieht das Janning Trumann, so spielt er das Thema.

Permanent Proposal
Dieser Vorschlag kommt ganz anders rüber. Schlagzeug und Bass betonen ihre Vorherrschaft: Quirlige, schnell swingende Rhythmen, über die sich die treibenden Sequenzen der Posaune legen. Janning wird von Simon Nabatov abgelöst. Souveränes Swingen-Können, das war und ist eine unerschütterliche Domäne des Pianos im Jazz. So auch hier. Ein kurzes Intermezzo, von den Drums geschlagen, und schon fängt der ganze Reigen von vorne an.

Impelled
Der Titel wird vom Quintett bedient. Die Akkorde der Pianos legen vor, stakkatohaft gehämmert, die anderen ziehen nach. Melodie- und Stimmführung obliegen zunächst dem Blech, um kurz danach dem Pianisten die solistische Bühne zu überlassen. Hier und da unterstürzt durch angerissene Riffs der Posaune, die das Titelmotiv wieder aufnimmt, um dann das Vibrafon von Dierk Peters kurz zum Zuge - zum Klingen - kommen zu lassen. Unbändig bläst Janning seine Töne ins Thema, auch mal quer zum Spiel der anderen, so quasi linksherum.

Koelln
Live eingespielt. Lange Linien des Blechs geben den Auftakt, eingeworfene Klangfetzen des Vibrafons hellen auf. Die Stimmung bleibt verhalten bedeckt, eine frei tönende Ballade vielleicht? So etwas in der Art: ein freies, jedoch fein abgestimmtes Spiel aller Instrumente prägen den Klangcharakter des Titels, bei dem die Klangwelten der Posaune den Status eines Primus Enter Pares besitzt. So, mit der Sanftheit ist es jetzt vorbei: ein unbändiger, frei aufspielender Sound macht sich breit, gelöst von melodischen Fesseln, frech auftrumpfend und ziemlich respektlos gegenüber tradierten Harmonien. Was für Aficionados des Freien Genres und für Liebhaber von Kölln, wohl weniger für die Liebhaberinnen von Köln. Von Neukölln will nicht zu reden.

Alarme
Auftakt Posaune, was sonst? Thematisch ziemlich sperrig, so leicht spring der Funken nicht über und der Titel nicht ins Ohr. Ein Suchen von Themen, Strukturen und Figuren, hektisch, wenn nicht nervös. Ja, genau so eine Stimmung intendiert der Pate stehenden Titel Alarme: Aufgeregtheit, Unruhe, Irritation bis hin zum Chaos – das ist die akustisch Version einer chaotischen Realität. Das Objekt brennt dann völlig ab, es kommt keine melodische oder harmonische Feuerwehr zum Löschen oder wenigsten zur tonalen Schadensbegrenzung. Nein, das akustische Feuer darf beim Alarm(e) frei runterbrennen. Da ist nix zu machen!

Silence
Der Titel könnte es versprechen: Ruhe, Balance, Harmonie? Die ersten Töne klingen danach: dezentes Piano, behutsame, bescheidene Laute der Posaune (insofern das geht). Ein melodisches Thema klingt an, sehr vorsichtig. Den harmonischen Faden spinnt das Vibrafon verhalten weiter. Dann wieder das Blech, das ein wenig mitspielt, um schon bald in seinen Ätsch-Bätsch-Modus zu verfallen. Durch seine wuchtige, energische Intonation beginnt die Posaune den harmonischen Rahmen, kaum dass dieser zaghaft erstellt wurde, wieder vehement zu attackieren, um ihn zum Einstürzen zu bringen. Wenn der Titel eine Ironie von Silence sein sollte, so ist dies gelungen. Bei der Emotionalen Realität von Janning Trumann klingt so Ruhe.

Text: Cosmo Scharmer

  1. Real
  2. Detached
  3. Sanctuary
  4. Permanent Proposal
  5. Impelled
  6. Koelln (live)
  7. Alarme (live)
  8. Silence

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