Jarry Singla Eastern Flowers - Tendu

Jarry Singla Eastern Flowers - Tendu

Jarry Singla Eastern Flowers
Tendu

Erscheinungstermin: 06.11.2020
Label: JazzSick, 2020

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Jarry Singla – Piano, Indian Harmonium
Ramesh Shotham – South Indian & Western Percussion
Christian Ramond – Double-Bass

„In der Musik meines Trios koexistieren die europäische und indische Kultur mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie in meiner Kindheit und Jugend. Mal kochte mein Vater indisch, mal meine Mutter deutsch, die Wohnungseinrichtung war eine Mischung aus indischem Kunsthandwerk und alten europäischen Möbeln, meine Mutter hörte heute Mozart, morgen Bach, übermorgen Ravi Shankar oder Lata Mangeshkar, und das alles war eben einfach so. Das Trio ist in gewisser Weise eine Übersetzung dieses Zustandes in den musikalischen Bereich.“

Wow! Muss oder kann man wirklich mehr über „Tendu“, das neue Album des Trios Jarry Singla Eastern Flowers sagen, als der Pianist das selbst in diesem kurzen Statement vermag? Musik ist eine Sprache, und jede Sprache bedarf der individuellen und interkulturellen Übersetzung. Denn Sprache, völlig egal, ob ihr Vokabular auf Worten, Farben, Bewegungen oder eben Tönen, Rhythmen und Klängen basiert, ist immer ein Abbild des Lebens.

Jarry Singla Eastern Flowers bestehen neben dem Kölner Pianisten aus Bassist Christian Ramond und Perkussionist Ramesh Shotham. Alle drei haben indische Wurzeln, lassen sich aber nicht auf diese festlegen oder limitieren. Die gemeinsame Musik der drei passionierten Erzähler basiert ebenso auf indischen Einflüssen wie auf Jazz amerikanischer und europäischer Herkunft. Aber um Herkunft soll es hier eben nicht gehen, sondern um Zukunft. „Tendu“ steht für eine ganz eigene musikalische Topografie. Sich auf einen bestimmten Stil festzulegen, lehnt Singla ohnehin ab, wie dem offenherzigen Pianisten Festlegungen allgemein nicht liegen. Mit seinem Idiom setzt er in Zeiten, in denen es immer mehr um singuläre Eindeutigkeiten und die daraus vermeintlich zu folgernden Abgrenzungen geht, ein wichtiges Zeichen, das weit über das rein Musikalische hinausgeht. In der Musik der Eastern Flowers sind alle Gegensätze zwischen Fremdem und Eigenem, Fernem und Nahem sowie Privatem und Gemeinschaftlichem aufgehoben.

Als Deutsch-Inder in einer Kleinstadt in der Eifel geboren, war seine Herkunft für Jarry Singla über lange Jahre ein Thema, über das er nicht groß nachdenken musste. Das Wort „Migrationshintergrund“ gab es damals ja noch nicht einmal. „Erst in den letzten Jahren wird mir meine eigene Migrationsgeschichte aufgrund der politischen Entwicklungen in Deutschland bewusster. Mit meiner Musik möchte ich ein Zeichen setzen, dass interkulturelle Verständigung problemlos möglich sein kann. Ob das beim Hörer so ankommt, weiß ich natürlich nicht.“

Das ist auch gar nicht zwingend notwendig, denn seinen Anspruch verfolgt Jarry Singla ohne Schlagworte und Parolen. Er vertraut voll und ganz auf die expressive und narrative Kraft der Musik. Es bleibt dem Hörer überlassen, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Singlas ebenso wuchtig wie eindringlich sprudelnde Erzählstränge auf Klavier und indischem Harmonium verbinden sich in einer leidenschaftlichen und doch fast nonchalanten Zwangsläufigkeit mit der Poesie auf Christian Ramonds Bass und Ramesh Shothams Vehemenz auf den Percussionsinstrumenten. Oft schöpft Singla seine Kompositionen aus rhythmischen Phrasen Shothams, die sich aufs Klavier übersetzt verselbständigen und von ihrem Ursprung entfernen, ohne diesen zu verleugnen, so zu hören im Album-Opener „Eviri Mela“. Am Ende ist es völlig egal, welcher Herkunft eine Idee ist. Andere Stücke, wie „Ome Moduvi“ und „Vide Cinq“ beruhen auf modalen Motiven Olivier Messiaens, die sich in gewisser Weise wie das Tonmaterial eines indischen Raga verwenden lassen. „Für mich ist es sehr inspirierend, dass Ramesh Shotham durch seine unterschiedlichen Trommeln so viele Klangfarben schaffen kann.“ Christian Ramonds Bass umhüllt das Tandem von Klavier und Percussion wie ein transzendental schimmerndes Tuch.

Die Eastern Flowers sind drei Musiker, die ganz unterschiedlich mit ihrem indischen Background umgehen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die bandinterne Kommunikation. „Wir spielen ja schon seit zehn Jahren zusammen“, bestätigt der Bandleader. „In den USA kam ich durch einen Workshop mit dem Perkussionisten Jamey Haddad mit indischer Musik in Berührung. Als ich dann nach Köln zurückkehrte, lag es nahe, dass ich mich mit Ramesh Shotham in Verbindung setze. Durch Ramesh lernte ich in den letzten zehn Jahren sehr viel über indische Musik. Oft kommt er mit rhythmischen Ideen in eine Probe und ich komponiere dann etwas darüber. Das passiert aber nie mit dem Ziel, traditionelle indische Musik zu komponieren, sondern in erster Linie meine europäischen Einflüsse einzubringen.“

Wenn all diese Aspekte und Erfahrungen von indischer, europäischer und amerikanischer Musik zusammenkommen, könnte man natürlich auch von einem Selbstporträt Jarry Singlas ausgehen. Um solche Fragen macht er sich aber keine Gedanken. Er konzentriert sich auf das, was ihm musikalisch natürlich erscheint. Nach eigenem Bekunden empfindet der Pianist die Zusammenarbeit mit Musikern, die ebenfalls eine indische Grundlage haben, als sehr organisch. 2013 war er für ein halbes Jahr mit einem Stipendium in Mumbai und durfte dort mit Meistern der klassischen indischen Tradition zusammenarbeiten. Dieses Erlebnis lief auf die CD „The Mumbai Project“ mit den Eastern Flowers und drei indischen Musikern hinaus. „Die Zusammenarbeit hat auf eine sehr natürliche Art und Weise funktioniert - obwohl ich selbst nie akademisch die klassische indische Musik studiert habe. Ich nehme eher Ideen von diesen Musikern auf und verarbeite sie vor meinem Hintergrund. Vielleicht hat meine Art der Zusammenarbeit mit indischen Musikern etwas mit meiner Herkunft zu tun. Denn ich weiß, dass ich indische Wurzeln habe, ich weiß aber auch, dass ich kein Inder bin.“

Jarry Singla ist ein überaus reflektierter Zeitgenosse. Seine Welt ist durchlässig. Er kennt seine Grenzen, weiß aber auch, dass es darüber hinaus viel zu erkunden gibt. Auf diese Weise macht er unentwegt Entdeckungen, sich selbst wie auch seine Umgebung betreffend. Durch das Mumbai Project erkannte er zum Beispiel eine intuitive Selbstverständlichkeit des Austauschs. Diese Selbstverständlichkeit setzt sich leichtfüßig über alle Fragen von Kunstfertigkeit, Virtuosität und Konzeptionalisierung hinweg. Da muss nichts hinterfragt oder erklärt werden. Die Musik erzählt sich auf magische Weise selbst. Das gelingt den Eastern Flowers nicht zuletzt deshalb so überzeugend, weil jeder auf seine Weise nach einem Höchstmaß an Authentizität strebt. Was Begriffe wie Authentizität und Natürlichkeit für ihn bedeuten, erklärt Singla auf verblüffend einfache Weise: „Ich gehe dem nach, was sich für mich natürlich, authentisch oder eben selbstverständlich anfühlt. Und alles andere lasse ich weg.“

Die besondere Stimmung auf „Tendu“ basiert auf Vertrauen und gegenseitiger Neugier, die sich die drei Musiker entgegenbringen. Keiner bleibt in seiner Welt stecken, alle sind am Standpunkt der jeweils anderen interessiert. Bei allen musikalischen und kulturellen Backgrounds geht es hier in erster Linie um die drei Menschen Jarry Singla, Christian Ramond und Ramesh Shotham. Ein universales Manifest, gerade weil es so persönlich ist.

Text: Wolf Kampmann

  1. Eviri mela
  2. Sargamony
  3. Tumburu
  4. Tendu
  5. Ome moduvi
  6. Aroha
  7. Vide cinq
  8. Bangalore

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