CD-Release-Konzert des Dieter Ilg Trios im Berliner A-Trane am 09.11.2017

von

Dieter Ilg
Dieter Ilg - © ACT / Till Brönner

Barocke Klassik mit Jazz sich zu Eigen machen

Dieter Ilg - Bass, Rainer Böhm - Piano, Patrice Héral - Schlagzeug

Nach dem Beethoven nun der Bach. Was nach einem klassischen Klavierkonzert tönt, ist es aber nicht. Was dann? Doch Klassik? Ja und Nein. Es ist beides. Was der Bassist Dieter Ilg auf seiner aktueller CD - auf das Beethoven-Album folgend – präsentiert, kann sowohl als eine improvisierte Version dieser großen barockklassischen Themen gelten, als auch für sich in Anspruch nehmen, als vollblütiger Jazz zu gelten.

Da bedurfte es Sorgfalt bei der Auswahl der klassischen Themen, die sich gut für eine Trio-Adaption eignen. Neben der melodischen Stimmführung, die es auszutarieren gilt - mal vom Piano in eher tradierter Spielweise, mal vom Kontrabass in stärker individueller Ausgestaltung - , ist es erforderlich, eine Rhythmik zu erarbeiten, die mit dem musikalischen Gerüst der Bachschen Kompositionen im Einklang steht und dabei nichts von ihrem Jazzcharakter verliert. Dies ist neu und dem Trio wirklich eigen: eine Jazzharmonik und -rhythmik zu finden, die nicht nur swingt– das macht die Musik von Bach schon von allein –, sondern in einer zeitgenössischen Sprache beide Genres überzeugend verbindet.

Wie ist dies möglich? Durch die hohe Virtuosität der Jazzers? Sicherlich. Aufgrund der fundierten und langjährigen Beschäftigung mit den klassischen Vorbildern? Ganz gewiss. Aber die wichtigste Erklärung könnte in der Individualität liegen, in der Art und Weise, wie diese Themen bearbeitet sind: dem eigenen Anteil des Trios an einer zeitgenössischen, durch die Faszination der Jazz-Rhythmik und -Improvisation angereicherten, Klassik-Adaption. Hier ist Dieter Ilg selbst zu zitieren, der bezüglich des Beethoven-Albums erläutert: „Ich möchte … in der Tradition Beethovens dessen musikalischen Ausdruck individuell in die Neuzeit transportieren. Eigensinn heißt zu Eigen machen mit Sinn.“

Wunderschön ausgedrückt und eigentlich könnte man hier Schlussmachen, denn alles ist gesagt! Wenn da nicht das Konzert wäre. Live-Auftritte sind (fast) immer etwas anderes als die noch so ausgezeichneten CD-Einspielungen. Eine Überraschung ist stets dabei und in den meisten Fällen ist sie positiv. Dies ist die Erwartungshaltung als das mehr als eingespielte Trio im A-Trane auf die Bühne tritt.

Es ist still, nein, es ist andächtig, wie in der Kirche. Die ersten Titel – so wird uns später verraten – stammen aus dem Klavierbüchlein für Wilhelm Friedemann Bach und aus dem Präludium. Von Beginn an gibt es eine ununterbrochen hohe Präsenz des Basses. Dies tönt nicht nur in den vielen Soloparts, sondern die Bassgeige strukturiert alle Themen, dies sowohl harmonisch wie rhythmisch. Bei der thematischen Stimmführung wechseln sich Piano und Bass so geschickt und fast unmerklich ab, dass Klänge wie aus einem „Guss „wirken, so dicht ist dieser kompakte Sound.

Dieter Ilg
Dieter Ilg - © ACT / Till Brönner

Die Andacht des Publikums ist so groß, dass selbst die vielen ausgezeichneten Soli von Bass und Piano nicht beklatsch werden. Dies ist sehr ungewöhnlich bei Jazzkonzerten. Hier verhält sich das Publikum geradezu „klassisch“, traut sich nicht, will diesen Schönklang nicht stören. Selbst als die Themen schneller, bewegter, auch „jazziger“ werden – so bei den Goldbergvariationen sowie einer Sonate für Flöte und Cembalo – halten sich die Hörer mit dem Klatschen zurück. Dies obwohl der Pianist in die vollen greift und solistisch brilliert. Auch der Man an den Drums hält sich in keiner Weise zurück beim Bearbeiten seines Schlagzeuges in allerbester Jazzmanier. Es ist nicht so, dass dem Publikum diese Musik nicht gefällt – im Gegenteil – aber es ist gefesselt und bleibt es weiterhin, auch wenn später einige sich trauen, durch Klatschen zum guten Jazzverhalten zurückzukehren.

Dieter Ilg stellt seine Kollegen vor. Wie er treffend ausführt, seien diese „nicht seine Begleiter, sondern seine Mitgestalter bei dieser Lesung“. In der Tat, so ist es. Dieter Ilg informiert die Hörer über die zu spielenden oder schon gespielten Stücke und verweist sogar auf die Nummern des Bach-Verzeichnisses. „Manchmal sagen Zahlen mehr als Worte“. Ja, aber die Musik des Trios sagt doch mehr aus als die Zahlen.

Der nächste Titel betont etwas stärker den Jazzaspekt dieser Musik. Auch bei Titeln, die unter einem Jazzbegriff als Balladen gelten würden oder einfach welche sind, zeigt sich, wie souverän Pascal Héral seine Trommeln und Becken zu spielen weiß: federnder Beat, zart wirbelnd, ja Becken und Trommeln geradezu liebkosend. Später werden wir noch einen anderen Pascal Héral erleben, der sein Solo zuerst mit den bloßen Händen beginnt, dann einen Stock zu Hilfe nimmt, um später in einem leidenschaftlichen wie enthusiastischen Finale alles hinwegfegt: die französische Jazz-Inkarnation des Blechtrommlers Oskar Matzerath.

Die folgenden Stücke gehen jetzt gut ab. Alle treiben das Motiv rhythmisch packend voran. Das Piano von Rainer Böhm übernimmt die Federführung: quirlig, perlende Läufe, ein souveränes Swingen jenseits des tradierten Barock-Swings mit allen Klangfarben des Pianos. Alle Musiker zeigen bewegende Empathie und Passion in ihrem Spiel. Nur so lassen sich die barocken Themen mit Jazz zu Eigen machen.

Solistisch gibt Dieter Ilg viele Kostproben seines Spiels. Nun, was ist darüber zu sagen, außer dass seine Spielweise wunderbar virtuos und wohl perfekt ist. Dieter Ilg macht es dem Schreibenden schwer, was anderes zu behaupten: ob in langsamen Passagen, ob in den schnellen Läufen, die die Bassgeige zu einer Art übergroßer Gitarre degradiert oder in der melodischen Vorstellung der Themen, stets klingt jeder Ton wie eine singende Offenbarung, hervorgerufen durch Saiten, Holzkorpus, Händen sowie dem Zauber der Musik.

In allen Sequenzen seines Spiels finden sich jene harmonischen Strukturen, die einfach nur entzücken, gleich ob ein Aspekt der klassischen Musik betont werden soll oder ob eine Passage einen jazzigen Ausdruck erfordert. Unter den bekannten zeitgenössischen Bassisten findet sich wohl nur der - ebenso virtuos doch stilistisch sehr unterschiedlich aufspielende Renaud Garcia-Fons -, der ähnliche ästhetische Klangerlebnisse hervorrufen kann wie Dieter Ilg. Beim Bezweifeln dieser Aussagen: kommen und selbst hören!

Text: Cosmo Scharmer

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