Filmmusik oder die Suche nach Jazz in der Musik von Schostakowitsch

von Cosmo Scharmer

Romain Leleu und die Schostakowitsch-Nacht – Potsdam, Nikolaisaal 27.01.2018

Zugegeben, einen Tipp gab es schon. Dazu kam das Interesse, die Jazz-Suite Nr.2 von Dimitri Schostakowitsch live zu hören und diese Musik auf ihren Gehalt an Jazzelementen im Konzert „abzuklopfen“. Der Tipp galt dem noch jungen Trompeter Romain Leleu, der Zuhause in Frankreich schon Furore feiert und dessen musikalische Entwicklung sich von der Klassik verstärkt auf andere musikalische Genres wie Jazz und Weltmusik zubewegt. Grund genug nach Potsdam in den neuen Nikolaisaal zu fahren und sich dort von dem vortrefflichen Ambiente auf Anhieb gewinnen zu lassen.

„Die Hornisse“ wird als Filmmusik bezeichnet und charakterisiert nur ein Element aus dem gewaltigen musikalischen Spektrum von Dimitri Schostakowitsch, der vielen als der Komponist des 20. Jahrhunderts gilt. Auch für ausgewiesene Klassikliebhaber ist diese Musik keine leicht Kost. Wie werden jazzverwöhnte oder jazzverbildeten Ohren des Autors auf diese Musik reagieren?

Die Anzahl der Musiker, die das Brandenburgische Staatsorchester unter der Leitung von Howard Griffiths Frankfurt auf die Bühne bringt, ist beeindruckend. Pi mal Daumen schinden 60 Personen Eindruck, allein durch ihre Präsenz. Fast jedes Instrument ist doppelt oder dreifach besetzt. Aber zur Musik.

Mit Power Sound kommt der 1. Satz sofort zur Sache: Pauken und Blech erzeugen Rhythmen, die verstärkt durch die geballte Kraft der tieflagigen Instrumente sich unbarmherzig zu riesigen Klangwellen aufwerfen. Die wuchtige Präsenz der Hörner setzt noch eins darauf und beschwört Klangwelten von Wagnerischen Dimensionen.

Da braucht es einen versöhnlichen 2. Satz, der überwiegend von Violinen und Celli erspielt wird. Auch hier dominieren klangliche Wellen im Sinne von zu und abnehmender musikalischer Spannung. Aber diese sind von ausgewogener Schönheit und umfließen sanft die Sinne.

Bei so viel Abwechslung im musikalischen Geschehen wird es wohl nicht langweilig, werden. Kann es nicht, aber es kann lustig werden. Ja, der 3. Satz tönt wirklich lustig mit viel Schräge und Skurrilität. Dieses Spektakel wird von allem Instrumenten gleichberechtigt hervorgerufen. Da klingt es nach Jahrmarkt und Zirkus, wenn nicht nach Rummel. Ob dies alles ernst gemeint ist? Nun, wer dies als Ironie verstehen will, der findet genügend musikalische Spuren. Und wer sich an den schalkhaften Jazz-Pianisten Thelonius Monk erinnert fühlt, der liegt nicht falsch. Weniger durch musikalische Elemente und Stil als durch Geisteshaltung: eine ironisch zu verstehende Musik, der ein Schuss Selbstironie innewohnt. Wer sich einfach nur an dieser Musik amüsieren will, der kommt auf sein Vergnügen, ganz im Ernst.

Klar, dass der 4. Satz wiederum anders klingt. Jetzt sind die Streicher dran, ihre hervorragende Stellung im Sinfonieorchester auch mal kundzutun. Die Stimmführung übernimmt die Violine und alle Streicher lassen „klassisch“ schöne Melodien unisono erklingen, dessen verzaubernde Stimmung an die Violinkonzerte der Romantik, wenn nicht an die von Mendelssohn-Bartholdy erinnern.

Dramatische Passagen mit bedrohlichen Momenten - einer wie auch immer gearteten Realität - krachen als externe - wenn nicht brutale - Ereignisse in dieses friedvolle Violinkonzert und konterkarieren es. Stakkato-Motive, laute wuchtige Intonierung mit leichten Dissonanzen sprengen diesen Schönklang. Aber nur kurz. Der warme Ton der (Wald)Hörner versöhnt zum Ausklang. Dieser 4. Satz hat etwas von der - im positiven Sinn – leichten Ästhetik von Filmmusik, die diese Suite ja intendiert.

Die Celli wollen den Violinen nicht nachstehen. Der 5. Satz wird zu „Ihrem“ Konzert. Das Cello bringt mit seinen intensiven Klangfarben Melodien hervor, die zum Schwelgen verleiten. Die Motive und Figuren, die die Solostimme initiiert, werden von den übrigen Streichern – jedoch ohne die Kontrabässe – aufgenommen und verstärkt. Dies schafft eine kammermusikalische Intimität, aber mit dem Volumen des großen Streichorchesters.

War zu erwarten. Jetzt ist wieder Radau angesagt. Mit Becken, Pauken und auf was sonst noch alles getrommelt werden kann, überfällt der 6. Satz das Publikum. Es scheppert so richtig nach „Tschingderassabum“ und so soll es auch klingen. Stark akzentuierte Rhythmen mit aufdringlichem Stakkato donnern durch den Saal. Schräg mit leichten dissonanten Anklängen haben wieder die Bläser das Sagen. Die Hörner erschallen zunehmend wie Fanfaren, nicht hoffnungsvoll etwas ankündigend, sondern auftrumpfend und letztlich triumphierend. Wir haben es – wen oder was auch immer - geschafft, wir haben gesiegt. Und dies ist sein Klang.

Diese Suite, das sind stetig miteinander verwobene und konkurrierende Klangwelten voller Überraschungen, Brüche und Stilwechsel jeglicher musikalischer Couleur. Dies ist auch Filmmusik und demzufolge ist es berechtigt, Schostakowitsch´ Suite „Die Hornisse“ als – hier wirklich begrifflich korrekt - avantgardistisch zu charakterisieren.

Das Orchester und sein Dirigent: in den Ohren eines Jazzjournalisten klingt dies alles ausgezeichnet, mit viel Leidenschaft dargeboten, vermutlich perfekt. Möglicherweise gibt es andere Orchester, die eine Perfektion noch „perfekter“ machen können. Aber dies merkt dann wohl niemand mehr. Dirigent und Orchester haben sich hörbar sehr intensiv mit der Musik von Schostakowitsch auseinandergesetzt und so wie sie gespielt haben, verfügen sie über längere Erfahrung mit dieser Musik. Falls nicht, umso besser. Berlinerisch salopp formuliert: Da kann man nicht meckern!

Text: Cosmo Scharmer

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