Sebastian Gille - Ich liebe Jazz...

Interview mit Sebastian Gille

Sebastian Gille
Sebastian Gille

Kommst du aus einem musikalischen Umfeld?
In meiner Familie war Musik immer ein wichtiger Bestandteil, allerdings nicht in professioneller Hinsicht. Musik stand bei uns zu Hause immer für Unterhaltung. Zu besonderen Anlässen, wenn die Familie und Freunde zusammen kamen, war das gemeinsame Singen und Tanzen ein sehr wichtiges Ritual. Mein Vater zückte dann sein Akkordeon, meine Mutter sang, spielte Gitarre und mein älterer Bruder Klavier. Ich durfte mit meinem Saxophon natürlich nicht fehlen, auch wenn ich zugeben muss, dass diese Momente sicher nicht zu meinen Liebsten gehörten. Nichtsdestotrotz weiß ich, dass diese Augenblicke außerordentlich prägend für das waren, was ich heute machen darf. Zudem haben mich meine Eltern bis heute mental sehr unterstützt und in all meinen Vorhaben gefördert. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Wann bist du mit Jazz in Berührung gekommen und wusstest, das es deine Musik ist.
Ich bin erst relativ spät mit Jazz in Berührung gekommen. Wenn ich mich recht entsinne, war das mit 16, 17 Jahren. Ich kann mich noch genau daran erinnern: Es war der Song Maxine von Donald Fagen’s CD The Nightfly. Michael Brecker spielt bei diesem Stück ein unglaubliches Saxophonsolo, wie ich es noch nie zuvor gehört hatte. Ich kaufte mir all seine Platten und wollte damals so sein wie er. Es hat dann nicht mehr lange gedauert, bis ich der Musik von Miles Davis und Wayne Shorter begegnet bin. Das ist Musik, die in mir bis heute Träume und Fantasien anregt.

Du hast bereits früh in Orchestern gespielt und bist mit diversen Preisen ausgezeichnet worden. Ist dir das Saxophonspiel zugeflogen?
Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, mir wäre das Saxophonspiel nicht leicht gefallen. Dennoch: Mein Ehrgeiz und meine Neugier für das Instrument waren von Anfang an sehr groß und wurden über die Jahre größer und größer. Ich habe mich schon immer sehr viel mit meinem Instrument auseinander gesetzt – mit dem Ziel, mich freier in der Musik entfalten zu können und das herauszubringen, was ich sehe, höre oder mir vorstelle.

Wann reifte der Wunsch, an eine Musikhochschule zu gehen?
Schon sehr früh. Ich würde sogar sagen, dass er von Anbeginn meines Saxophonspiels vorhanden war. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es wirklich der Wunsch war, Musik zu studieren. Es war eher das Verlangen, mein Leben der Musik zu widmen und das zu machen, was ich so sehr liebe. Für mich gibt es keine interessantere Lebensaufgabe als Musiker zu sein. Kontinuierlich bestrebt zu sein, das Unbekannte zu entdecken, wie eine niemals endende Reise, bei der ich nicht weiß, wo sie mich hinführen wird. Darüber hinaus trifft man die grundverschiedensten Menschen mit den unterschiedlichsten Einflüssen, und jeder von ihnen erzählt eine andere Geschichte. Sicherlich gibt es auch Zeiten der Unzufriedenheit, in der man sich nach neuer Inspiration sehnt oder ganz und gar das Gefühl hat, sich nicht weiterzuentwickeln. Aber gerade in diesen Augenblicken lerne ich häufig am meisten.

Wie hast du dir als 21-Jähriger dein Leben als Profimusiker vorgestellt, und wie siehst du das aus heutigem Blickwinkel?
Ich kann mich mit meinem Leben sehr glücklich schätzen. Als ich 2004 nach Hamburg ging, hätte ich nie gedacht, dass ich die Möglichkeit bekomme, mit so gigantischen Musikern zusammen zu arbeiten, vom Saxophon spielen leben zu können oder geschweige denn CDs aufzunehmen. In gewisser Hinsicht habe ich mir früher mehr Gedanken gemacht und mich sehr mit Anderen verglichen. Das war auch sehr wichtig für mich. Doch nach Jahren voller aufschlussreicher Gespräche und schönen Erfahrungen mit wunderbaren Mentoren und Musikern habe ich mehr und mehr zu mir selbst gefunden. Ich rede davon, meinen individuellen, musikalischen Weg zu gehen, meine bezeichnenden Geschichten und innersten Empfindungen in die Musik einfließen zu lassen. Von den anderen Dingen lasse ich mich eher inspirieren, als dass sie mich auf irgendeine Weise stressen.

Du hast bereits mit sehr vielen MusikerInnen zusammengearbeitet, aber erst jetzt mit 28 erscheint dein Debüt. Warum hast du dir Zeit gelassen?
Das ist eine sehr gute Frage. Ehrlich gesagt habe ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht. Ich kann nur sagen, dass ich all die Jahre vorher nie den Drang verspürt habe, eine eigene Platte aufzunehmen. Jazz sehe ich in erster Linie als einen langen kreativen Entwicklungsprozess – eine Art Sinnbild des Lebens. Wahrscheinlich habe ich mich bislang für diesen Teil meines Lebens einfach noch nicht bereit gefühlt. Ich weiß es nicht. Ich wollte auch nie etwas erzwingen, denn mir war es zeitweise wichtiger, die Chancen, die sich mir ergaben, zu genießen und auszuschöpfen. Dadurch habe ich unglaublich viel lernen und reichlich Erfahrungen sammeln können. Als ich an dem Punkt angelangt bin, mit meinem Quartett ins Aufnahmestudio zu gehen, ergab sich die großartige Gelegenheit, dies für ein Label wie Pirouet zu tun.

Zu deinem Quartett: Wie muss die Atmosphäre in einer Band für dich sein, so dass sie optimal funktioniert, und wie behauptest du dich als Bandleader? Könnte es ein Handicap sein, mit einem so eingespielten Trio zusammenzuspielen?
Die Atmosphäre in einer Band ist enorm wichtig. Dazu ist auch zu sagen, dass die Freundschaft eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben einnimmt, und somit ist sie auch ein wesentlicher Teil meiner Musik. Der Begriff Freundschaft beinhaltet Werte wie Offenheit, Vertrauen und Ehrlichkeit. All diese Werte sind aber auch unheimlich bedeutsam für die Weiterentwicklung der Musik innerhalb einer Band. Sicherlich ist es heutzutage keine Schwierigkeit, wahnsinnig gute Musiker zu finden. Überall gibt es sie. Die freundschaftliche Verbundenheit ist jedoch eine Besonderheit in der Musik, wonach es sich lohnt zu suchen. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, weshalb mein Debüt-Album solange auf sich warten ließ.
Mit Pablo, Robert und Jonas verbinden mich diese Eigenschaften, und das kann man wiederum deutlich in unserer Musik spüren. Rückblickend auf beinahe drei Jahre der Freundschaft, in denen wir auf unzählige wunderschöne Momente zurückblicken können, bin ich ausgesprochen froh darüber, dass wir uns gefunden haben. Ihr einzigartiger Sound und ihr Farbenreichtum verleihen mir und meiner Musik eine unheimliche Kraft und Bedeutung. Daher würde ich es keines Falls als ein Handicap bezeichnen, mit einem Trio wie diesem zusammenzuspielen. Ganz im Gegenteil. Ich glaube jeder Musiker wünscht es sich, von so einem Gespann getragen zu werden. Drei Musiker, die als eine Einheit agieren und sich dabei stets auf die Suche nach den Moment in der Musik begeben. Mit ihnen zu spielen, ist ein einzigartiges Abenteuer, bei dem man einfach nie wissen kann, was gleich passieren wird. Man muss stets offen sein, das Unerwartete zu erwarten und muss die eigenen Spielgewohnheiten über Bord werfen. Selbst wenn wir ein Stück hundert Mal spielen, ist es jedes Mal anders. Das ist es, was für mich die Musik in diesem Ensemble so besonders macht. Daher sehe ich es eher als ein Privileg an, mit diesen „Cats“ zu spielen.

Was bedeutet Jazz für dich?
Ich liebe Jazz in erster Linie wegen seiner Improvisationen. Die Improvisation ist für mich so etwas wie ein Zeugnis, das ein Musiker ablegt, über die Gefühle, die er mit dem jeweiligen musikalischen Thema verbindet. Dies ist sehr persönlich. Kein anderer Musikstil bietet das. Zudem ermöglicht mir der Jazz, in eine Art Paralleluniversum abzutauchen, in dem alles um mich herum vergessen scheint. Eine Welt, in der nichts ist, wie es vorher einmal war – und in der man nicht wissen kann, was uns erwartet.

PIROUET Records
Marion Hölczl
Presse & Promotion

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