Jazzfest Berlin 2017 - Solokonzert Michael Wollny 03.11.2017

von Cosmo Scharmer

Michael Wollny
Michael Wollny, Foto © Camille Blake

Wanderer kommst Du nach Berlin, so spiele Piano wie es uns gefällt.

Viele seiner Alben wurden als Duo eingespielt. Darunter das ihn früh bekanntmachende Zusammenspiel mit dem Tenorsaxofonisten Heinz Sauer, dem weitere Aufnahmen folgten, später dann Nils Landgren oder Vincent Peirani oder Kollege Joachim Kühn. Daneben bevorzugt Michael Wollny das Spielen im Trio. Neben dem eigenen Trio wirkte er als begehrter Gast in zahlreichen Projekten. Seine letzte (einzige?) Solo-CD stammt aus dem Jahr 2007. Demzufolge war die Spannung groß, was den Hörer am Abend auf der großen Bühne im Haus der Berliner Festspiele erwarten würde.

Angekündigt wurde Michael Wollny als jemand, der die Romantiker sehr schätzt. Nicht nur die Romantik im musikalischen Sinn, sondern speziell die der Literatur. Die einführende Dame bezog sich auf den Dichter Novalis und Titel aus den Werken von Michael Wollny wie „Wanderer“ oder „Nachtfahrten“, so sein aktuelles Album seines Trios. Nun, wir sind gespannt.

Auf die Bühne tritt ein jung wirkender Mann mit der unbekümmerten Ausstrahlung „seiner Jugend“, verbeugt sich kurz und schon geht es los.

„Berlin 2017“

Ein wenig Warmspielen, eher Warmzupfen an den Innensaiten des Flügels. Dies erzeugt dann Klänge eines präparierten Klaviers, hier das umgestülpte Weinglas. Dann werden in tradieret Manier die Hände auf die Tasten gelegt und es wird gespielt.

Eine Phase von Suchen und Finden von passenden Sequenzen, geeigneter Rhythmik und den vorzustellenden Themen beginnt. Michael Wollny zeigt dabei seine vielseitigen technischen Fähigkeiten, indem nahezu einen umfassende Stilistik des Pianospiels dargeboten wird. Mal atonal aufspielend, um dann mit sanfter Melodik zu versöhnen, um dann das Klavier schräg tönend weiter zu bearbeiten. Es ist eine Kostprobe zeitgenössischer Spielweisen, die sich zwischen tradierter Klassik, den Facetten des Jazz-Pianos und dem, was sich als Neue Musik irgendwo zwischen Komposition und Improvisation kundtut. Es scheint so, dass Michael Wollny sich erst vortastend seinen Hörern vorstellen will: dem Publikum, der Institution Jazzfest und der Stadt Berlin. Ja, und das Publikum, dies muss sich auf das Piano von Michael Wollny einlassen, muss sich erst Warmhören.

„Wanderer“

Kein romantisches Stück, aber stärker harmonisch strukturiert als die Suchen-und-Finden-Phase des 1. Drittels. Eine Idee wird vorgestellt, behutsam variiert, nimmt dann Tempo auf. Auch rhythmisch steigert sich das Thema, verdichtet sich zunehmend, um dann absolut virtuos die – im positiven Sinn – ungeheure Spannung aufzulösen.

Kein Künstler liebt den Vergleich mit anderen Kunstschaffenden des gleichen Genres. Aber wenn eine Spielweise – bei zwei bis drei Themen oder Passagen – unvermittelt an den (wie benennen?) großen Keith Jarrett erinnert, so darf solch ein Referenzieren (ausnahmsweise) gestattet sein. Nicht so, dass bei „Wanderer“ der Eindruck erstünde, der Großmeister spiele selbst. Nein, dies ist alles Michael Wollnys eigene Handschrift, eigener Tastenanschlag, sein Piano. Aber die harmonisch wie rhythmische Verdichtung, die stetige Erhöhung der Spannung sowie die glücklich machende Auflösung der aufgestauten Gefühls- und Klangwelten, führen zwangsläufig zu diesem Bild. Hier spielt Michael Wollny auf vergleichbarem ästhetischen Niveau.

Nach dem ersten Set erläutert Michael Wollny selbst so bescheiden wie glaubwürdig: Neben dem Respekt und der Ehre hier auf dem Jazzfest so „prominent“ spielen zu dürfen, hatte das 1. Stück Berlin im Focus. Deshalb lautet der Anfangstitel auch: „Berlin 2017“. Ach so, dann befreiendes Lachen.

Seine Worte erklären vieles. Das war und ist seine – wenngleich sperrige - Reminiszenz an die quirlige Metropole, an Unruhe, Hektik mit ihrer kulturellen Faszination: Michael Wollny als (Tasten)schlagender Franz Biberkopf auf dem Alexanderplatz, der heute im Westen in der Scharperstrasse liegt!

„Die Winterreise“ – von Franz Schubert

Damit die Ankündigung nicht völlig daneben liegt, erklärt Michael Wollny seine große Bewunderung für diesen Klassiker der Romantik und kündigt seine Interpretation der „Winterreise“ an. Es beginnt vertraut, das Thema  bleibt für eine gewisse Zeit erkennbar erhalten und kann als eine – wenn auch jazzige - Ausgestaltung des klassischen Originals gelten. Dann verändert sich das Thema und mutiert zum eignen Werk. Hier kann Michael Wollny seine – ja, so muss es lauten – brillante Technik zeigen, die sich nicht in abstrakten Strukturen verliert, sondern dem Stück alles einhämmert, was Rhythmik und Harmonie im aktuellen Jazzpiano lebendig macht. Seine Tempi steigern sich zu atemberaubenden Stakkato. Wären da nicht die Ohren, die Augen können seinem wahnwitzigen Tastenschlag nicht folgen. Die Musik steigert sich ekstatisch und kostet in einem orgiastischen Höhepunkt alles aus. In dieser beschaulichen Winterlandschaft, in der diese Reise begann, ist ein Vulkan ausgebrochen, dessen eruptive akustische Lava alles verschlingt. Die Hörer haben sich im Wortsinne „aufgelöst“, bei mehr als Wohlgefallen.

Eine „finnische“ Zugabe

Steigerung ist nicht mehr drin. Eine schöne Interpretation einer gefälligen finnischen Komposition fährt die Spannung runter, kühlt ab, bring das Publikum wieder auf den Teppich. Mehr wäre jetzt auch nicht zu verstehen. Zu viel Schönheit ist einfach nicht zu verkraften.

Wanderer, kommst Du nach Berlin, so spiele Piano wie dir ist.

Text: Cosmo Scharmer

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