Luftige Leichtigkeit und erdige Tiefe - klanggewaltiger Big Band Jazz des Maria Baptist Orchestra

von Cosmo Scharmer

CD-Release-Konzert im Jazzclub Schlot 20. Sep. 2019

Maria Baptist Orchestra
Maria Baptist Orchestra, Foto: Anna Stark

Wer die CD „Here & Now“ des Maria Baptist Orchestra (MBO) kennt, der sah mit Interesse dem CD-Release-Konzert von „Here & Now 2“ entgegen. Zu erleben war zeitgenössischer Sound einer klanggewaltigen Big Band. Im Konzert des Orchesters war alles zu hören, was exzellenten Jazz auszeichnet: herrliche Kompositionen, ausgefeilte Arrangements, rhythmischer Drive und viel Raum für die individuelle Entfaltung der solistischen Stimmen. Das Konzert im Detail.

Nature of Reality
Das Piano führt ins Thema ein. Die leise, vorsichtige Unterstützung von Drums und Bass erzeugt einen getragenen Piano-Trio-Sound, noch ohne Beitrag der Übrigen. Das Piano baut das Thema weiter aus, es nimmt Fahrt und Kraft auf, die Bläser setzen ein, ein verhaltener, höchst kompakter Klang verschafft sich Raum. Die verschachtelten Bläsersätze variieren rund ums Titelthema, verdichten den Stoff, spitzen zu, stets ausgefeilt und ausgewogen. Die Leiterin Maria Baptist übernimmt den ruhigen Part zwischen den einzelnen Passagen, verbindet sie und führt souverän ihr Ensemble vom Piano aus. Dem Thema gelingt es, verstärkt in den Vordergrund zukommen. Die Bläser setzen ergänzende Klangfarben. Das Ensemble lässt die Komposition leise und verhalten ausgleiten.

Midnight Suite # 1
Die Pianistin legt geschwind vor, dann entsteht ein rhythmisch packendes Motiv, zu dem alle beitragen - in den unterschiedlichen Klangfarben des Orchesters. In der thematischen Stimmführung wechseln sich die Trompete von Fabian Engwicht und das Bariton-Sax von Nik Leistle ab. Die gesamte Band präsentiert die Komposition verhalten, angereichert mit raffinierten Einsprengseln der Bläsersätze. Die Rhythmus-Sektion gibt lässig ein komplexes Thema vor. Bariton-Saxofon und Trompete nutzen dies für emotional bewegende wie expressive Soli: schneidend hohe Lagen der Trompete, tieflagig ergänzend das Bariton. Zwischen den Soli setzt sich ein markantes rhythmisches Motiv als Riff immer wieder durch.

Midnight Suite #2
Wie eine sentimentale Ballade klingt anfangs die 2. Midnight Suite, die dem Tenorsaxofon von Bernhard Ullrich die Chance gibt, sein solistisches Können zu zeigen. Ruhige entspannende Klangräume ergänzen sich im Wechselspiel zwischen Bläser-Arrangements und solistischen Passagen. Ausgezeichnet wie die Bläser die Stimmungen zwischen Thema und Solo aufgreifen und unterstützen. Viel Raum gibt es für die Soli des Tenorsaxofonisten, der sich nach Lust und Laune musikalisch verwirklichen darf und dies mit bestem Tenor-Sound auch tut. Das Ausklingen der Suiten steuert Maria Baptist durch Dirigieren in klassischer Manier.

Natural Landscape and Roof Garden
Die akustischen Landschaften dieser Titel sind rhythmisch stark akzentuiert, gehen ab. Das liegt auch am treibenden Spiel des Drummers Heinz Lichius. Die Themen und der geballte Sound der Big Band sind hervorragende Vorlagen für die Holzbläser. Das stringent gespielte Sopran-Sax von David Beecroft und das agil tönende Alt-Sax von Jan von Kollwitz lassen, was virtuoses Spiel und emotionalen Ausdruck betreffen, keine Wünsche offen. Bei solch großer Entfaltung der Solo-Stimmen lässt es sich Ruben Giannotti nicht nehmen, seine individuelle Klangfärbung beizusteuern und den Big Band Sound durch Intensität und Expression seiner Trompete anzureichern. Der Klang des Ensembles ist so dicht, dass es wieder des Dirigierens der Chefin bedarf, um die hohe Spannung runter zu fahren und die Musik sanft ausgleiten zu lassen.

Maria Baptist Orchestra
Maria Baptist Orchestra, Foto: Anna Stark

Apartment 3# and Cloud 9
Diese Titel gehören ebenfalls zu der Gruppe der rhythmisch besonders akzentuierten Kompositionen. Nach kurzer Einführung, bei der Heinz Lichius die Klöppel verwendet, trommelt er sein Solo in den Raum: wuchtiges, aber feinsinniges Drumming, wie es sich für einen formidablen Big Band Drummer geziemt. Dann übernimmt das Piano die Thematik, die Holzbläser stimmen säuselnd ein, das Metall der Posaunen und Trompeten schmettert dagegen. Nach anfänglicher Phase, die durch tieflagige, gut balancierte Bläsersätze bestimmt wird, entwickeln sich die Themen dynamisch. Auch in Cloud 9 ist viel Raum für solistische Klänge. So schleudert Jan von Klewitz´ Alt hell aufblitzende Sternschnuppen in das akustische Gewölbe. Die Blitze des Alts´ werden von der ganzen Band mit ausgleichendem Donner reflektiert. Alle zusammen erschaffen akustische Landschaften zwischen rhythmischer Erdung und hochfliegenden Klangkaskaden. Das anschließende Trompetensolo von Eddie Hayes versöhnt durch bodenständige Einfärbung. Es verlangt das Dirigieren von Maria Baptist, um ihre wildgeworden Mannen inklusive des jazztrunkenen Publikums wieder auf den Boden zurückzuholen.

Midnight Suite #4
Eingängig, packend sowohl in rhythmischer als auch in melodisch-harmonischer Hinsicht, so stellt sich der Titel vor. Das Eingangsmotiv ist ein Ohrwurm – zumindest für Jazz-Ohren. Auch hier ist viel Raum für solistische Entfaltung. Den Anfang macht Julius Hopf mit seiner Posaune. Trefflich gibt sein Solo die musikalische Aussage g des Themas wieder. Dem steht das Alt-Sax von Jan Klewitz nicht nach. Ein Alt-Solo in bester Tradition des Instrumentes: schillernd, facettenreich und unbändig schleudert das Alt seine quirligen Sequenzen in Thema und Raum. Der Bass verschafft sich mit seinem tieftönenden souveränen Solo ein kurzes Intermezzo, das den Übergang zum Leitmotiv ebnet. Vorzüglich, wie der zum ersten Mal mitspielende Bassist Thomas Kolarczyk sich in die Musik des Maria Baptist Orchestra einfindet. Und dann gibt es noch eine schöne Schleife des Eingangsmotivs, bevor sich das Stück mit geballter Kraft verabschiedet.

As long as we are Searching for
Die Klangfarben der Bläser mit ihren Trompeten, Posaunen, Flöten, Klarinetten und Saxofonen kreieren den musikalischen Hintergrund des Themas, verdichtet und komplex. Das sich langsam herausschälende Leitmotiv übernimmt das Alt-Sax von David Beecroft. Das sehr schöne Motiv springt direkt in Herz und Ohren des Publikums. Die Bläser runden ab, übernehmen die Melodielinie und alle zusammen erspielen diesen großorchestralen Sound. Danach gibt es genügend Zeit und Raum für die Entfaltung des Altsaxofon-Solos von David Beecroft. Auch hier wird das Thema perfekt getroffen. Das könnte auch das Motto von Here & Now 2 sein, nämlich “As long as we are Searching for (Perfection)”. Denn perfekt klingt der Titel, bestechen die Improvisationen des Saxofons, dröhnt der Sound des Orchesters.

Sign of the Zodiac
Es ist Sache des Pianos, ins Thema einzuführen. Das Thema ist sehr verschachtelt, wird rhythmisch ungemein akzentuiert vorgetragen. Die Wechselspiele der einzelnen Stimmen mit den Antworten der übrigen Bläser erhöhen den Reiz der Komposition. Die Pianistin übernimmt jetzt die rhythmische Führung. Die Posaune von Rasmus Holm macht dort weiter, wo das Piano vorlegt, nur andeutet, um den Solostimmen den gebührenden Raum zu ermöglichen. Dieser wird von der Posaune und dem Tenorsaxofon von Richard Maegraith bestens genutzt, um ihre musikalischen Ideen zu realisieren. Die Bläser fallen in die Improvisationen ein, bilden leichte Gegensätze, ergänzen oder treiben das Thema auf die Spitze. Faszinierend ist es, den gerade nicht spielenden Musiker zuzuschauen, wie sie die Soli ihrer Kollegen begleiten. Sie lauschen deren Klangexplosionen und folgen mit Begeisterung den Phrasierungen der Solisten: mitschwingen, miterleben im Spannungsfeld zwischen Empathie und Ekstase.

Fazit: In den warmtönenden Balladen ebenso wie in den rhythmisch akzentuierten Titeln verbindet sich eine luftige Leichtigkeit mit erdiger Tiefe zu einem hervorragend ausbalancierten Sound. Gleichwohl lebt die Musik in diesen spannungsreichen Kompositionen auch von den vielen solistischen Überraschungen und stilistischen Wechseln in den Arrangements. Zeitgenössischer Big Band Jazz von der Klanggewalt des Maria Baptist Orchestra ist zurzeit nicht besser zu kriegen!

Konzert des MBO, jeden 1. Freitag im Monat im Berliner Jazzclub Schlot

Text: Cosmo Scharmer
Foto: Anna Stark (https://www.urban-birds.com/)

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