Maria Baptist Orchestra - Start der neuen Konzertreihe im Schlot 19.01.2018

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Maria Baptist Orchestra
Maria Baptist Orchestra, Foto: Anna Stark

Eine Band, deren Musik dem Hörer gut bekannt ist, was kann diese noch bieten? Vermutlich wenig, wäre eine gängige Überlegung. Die Musik ist gut, sehr gut oder gar ausgezeichnet, aber ich kenne diese Musik zu Genüge. Dies klingt plausibel, ist nicht ganz falsch, aber auch nicht richtig.

Musik und insbesondere Jazzmusik, die live dargeboten werden, haben stets Momente von Unerwartetem, Überraschendem, Neuem, bisher So-noch-nicht-Gehörtem. Je mehr Überraschungen dem Hörer angeboten werden, umso lebendiger, kurzweiliger und spannender sind diese Hör-Erlebnisse. Genau dies war beim Auftakt der Konzertreihe im ersten Halbjahr 2018 des Maria Baptist Orchestra der Fall.

Bekannte Titel klingen wie neu. Sei es wegen geänderter Arrangements, durch variierte Instrumentierung von Bläsersätzen und Soli oder sei es durch neue Mitglieder im Ensemble. „Alte“ Stücke wie „Introduction for the Band“, mit der sich die Band vorstellt, kommen so neu daher, dass sie erstmal unvertraut klingen. Vertraut sind dagegen der packende Sound, die raffinierten Arrangements und die tollen Soli, die den Hörern mit dem Schmackes einer Big Band um die Ohren „gehauen“ werden. Das erste Stück wird so zu einem kurzen thematischen Überblick, was den Hörer alles erwartet:
kurze thematische Einführungen durch das Piano, treibende Motive, von der ganzen Band aufgegriffen und swingend auf den Punkt gebracht. Ein mit Verve spielender Drummer, der mit vielen Breaks die Stimmung anheizt, die von den knackigen Bläsersätzen weiter hochgeschraubt wird. Auf dieser Grundlage können die vielen stimmigen Soli den Sound abrunden.

Der bekannte Titel „Natural Landscape“ bezweckt, so Maria Baptist, ein Herausstellen ein „Featuring“ der Saxofongruppe“. Das Stück bezeigt auch die Kunst, Balladen immer wieder etwas anders zu erzählen. Auch hier sei - stellvertretend für alle Saxofonisten – nur das Solo von David Beecroft erwähnt. Sein Sopran verstärkt die ruhige Stimmung dieser Landschaft, macht sie leicht und luftig und lässt den Hörer entschweben. Auf und davon…

„Sign of the Zodiac“ ist ein relativ neuer Titel, bei dem es viel zu entdecken gibt. Auch hier zeigt sich erneut, wie stark alle Kompositionen vom Spiel und Drive der Pianistin getragen werden. Auf dieser thematischen Basis bauen die Sätze der Bläser auf. Dezent verhaltend, mal subtil ineinander verschachtelt, ja geradezu verwoben oder gnadenlos mit voller Power auftrumpfend nehmen sie das Thema auf und treiben es voran. Die noch fehlenden i-Tüpfelchen zum selig machenden Sound dürfen dann die Solisten ergänzen. Hier ist es das Tenor von Patrick Hamacher, das den Punkt setzt.

Wenn auch vieles neu kling, jetzt kommt mit „Good Bye“ ein wirklich neuer Titel. Diese Ballade besticht durch den kompakten Klang der gesamten Band und dem Sopran, das sich mit feinen subtilen Tönen voller Stringenz davon abhebt. Immer wieder überfällt die geballte Wucht der Bläser das Thema sowie den Solisten und verdichtet zunehmend die Musik.

Ähnlich in dieser Grundstimmung verhält sich „Blossoms“. Dies sei – so die Leiterin – „fast eine Uraufführung“. Gleich wie, dieses balladeske Thema gewinnt durch seine ruhige, verhaltene Schönheit. Trefflich auch hier die Auswahl der Solostimme. Ruben Gianotti verleiht mit seinem Trompeten-Solo dem Stück einen weiteren Hauch von lustvoller Melancholie.

Die Band kann auch anders. Ein Satz aus der „Midnight Suite“ und der Titel „36 Street Midtown“ sind im Wortsinn zu verstehen: eine musikalische Beschreibung eines quirligen, gar hektischen Metropolen-Sound voller Energie. „Hells Kitchen“ lässt grinsend - stellvertretend für New York - die Jazz-Metropole Berlin grüßen. Hier erfährt das einleitende, vom Piano vorgetragene, Thema schnell eine schrille Zuspitzung. Jetzt tönt kein Wohlklang mehr, dieser wird durch wildes Spielen im jazzigen „High-Energy-Modus“ abgelöst. Dazu passend schmettert das Flügelhorn von Philip Sindy sein souveränes wie sperriges Solo in diese unruhige Welt. Der Drummer kann diesen Freiraum nutzen, um seinen Beitrag zu liefern: fetziges Power Play ohne Wenn-und-Aber. Neben dem „Jüngsten Gericht“ – zu dem sie aufrufen sollen – sind Posaunen für die Manhattan-Berlin-Metapher unentbehrlich. Mit lässiger Passion ist es Jörg Bücheler, der sein Verständnis dieser Großstadt-Sinfonie aus seiner Posaune herausschleudert.

Ha, Überraschung. Das Piano setzt auf einmal andere Akzente: lyrisch zart wird dem wilden Trieben die Ästhetik von kammermusikalischer Harmonie entgegengesetzt. Aber nur kurz. Wegen der Intervention der Klavierstimme legt sich die Hetzjagd durch den Asphaltdschungel ein wenig, es klingt versöhnlicher. Dies wird durch ein Baritonsax-Solo von Nik Leistle trefflich eingeleitet, das wiederum den musikalischen Sinneswandelermöglicht. Jetzt darf es auch mal (fast) klassisch swingend abgehen.

War es das? Mitnichten, denn der Metropolen-Sound schlägt zurück. Das Alt-Sax von Nico Lohmann und Stefan Gänze mit seinen Trommeln wollen es jetzt wissen. Sie liefern sich ein frei aufspielendes Gerangel, das zu einem wilden jazzigen Spektakel sich aufschaukelt: wer ist Teufel und wer ist Beelzebub? Gleich, gewonnen hat der Jazz. Gewonnen hat auch der Hörer, der sich dieses Konzerterlebnis „einverleiben“ konnte. Wer kann noch gewinnen? Alle die, die sich zukünftig zu Konzerten aufmachen. Nach Berlin, ins Schlot.

Text: Cosmo Scharmer

Fotos: © Anna Stark

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