Jo Barthelmes Hipnosis live im Quasimodo 11.06.2021

Jo Barthelmes Foto
Jo Barthelmes, Foto: Bernd Kumar

Der verlorene Sohn ist zurück – The Tenor is Back.

Jo Barthelmes – Tenor- & Sopransaxofon
Davide Incorvaia - Piano
Carmelo Leotta - Kontrabass
Paolo Eleodori - Schlagzeug

Eine fast unglaubliche Geschichte. Nach 2 Jahrzenten der Abwesenheit meldet sich Tenorsaxofonist Johannes Barthelmes zurück in der Jazz-Öffentlichkeit. Das im Rahmen eines Neustarts von Jazz in Berlin gegen Ende der Pandemie. Jo Barthelmes präsentiert sein Quartett Hipnosis live im Rahmen der Jazzwoche im Biergarten des Clubs Quasimodo. Kurz vorweggenommen: Ein expressiver Tenorsound mit dramatischen Spitzen und „dreckigen“ Sequenzen wird zu hören sein. Bass, Drums und Piano ergänzen sich und alle zusammen generieren einen „Jazz zum Anfassen“. Dieses individuell verwendete Sub-Genre des Jazz ist eine Metapher für expressiven, kraftvoll gespielten, rhythmisch treibenden Jazz mit längeren solistischen Passagen. Das alles im herrlichem wie randvollen Biergarten des Quasimodo bei optimalem Wetter – God Must Be a Boogie Man.

Jo Barthelmes Geschichte wird als Interview demnächst auf jazz-fun.de zu lesen sein. Die Titel des Konzertes im Detail.

Jo Barthelmes Hipnosis
Jo Barthelmes Hipnosis, Foto: Bernd Kumar

Hipnosis (Grachan Moncur III)
Sax und Bass stellen unisono ein Motiv vor. Gleich darauf geht´s zur Sache: treibender Rhythmus von Bass & Drums, voller Ton des Tenors, die Drums halten den geradlinigen Beat mit feinen Beckenschlägen. Ein kompakter Sound macht sich im Wortsinn breit. Das Thema variiert und die röhrenden Soli des Saxofons geben eine erste Ahnung von dem Tenor Madness Sound, der jetzt und später auf das Publikum herniederprasselt.

Paolo Eleodori an den Drums mischt unterdessen richtig auf, während das E-Piano nur verhalten zu hören ist, was auch an der Akustik im Biergarten liegen kann. Die langen Ausflüge des Tenor-Saxofons in recht freie Gefilde ebben ab. In die sich auftuende Lücke „springt“ jetzt das Piano mit perlenden Anschlägen. Das folgende Bass-Solo geht etwas unter in der Euphorie und Begeisterung des Publikums. Beim ersten Konzert nach langer Abstinenz kann es im herrlichen Biergarten nicht immer still zuhören.

Remember (Jo Barthelmes)
Das Thema verrät Charakter und Komponisten des nächsten Stückes: eine Ballade von Bandleader Jo Barthelmes. Das Thema gehört erstmal dem Sopran-Sax, das Jo mit seinen Skalen, Tonfolgen und Sequenzen in konsequent entwickelte Variationen führt. Drums und gestrichener Bass füllen thematisch auf. Paolo Eleodori an den Drums macht das durch sein rollendes Trommeln mit den Schlägeln, später mit den Besen. Der Holzbasses definiert die Ballade durch seine singenden, warmen Klänge – eine Ballade ohne diese Töne wäre eigentlich keine.

Trane´s Tree (Jo Barthelmes)
Der Titel wird erst nach dem Ausklingen verraten. Aber auch so ist der Bezug, die Hommage an den Meister Coltrane unverkennbar, unüberhörbar. Da sind Sequenzen und Klangfarben die an den Titel Love Supreme erinnern: viel Pathos mit elegischem Ton, mystische wie magische Hymne. Nach diesem meditativen Beginn geht es wieder ab. Tenor-Madness: Figuren, Motive, Ideen, was das Zeug hält, was im Kopf von Johannes Barthelmes steckt und was aus dem gekrümmten Rohr kommt - freies Power Play. Diese explosiven Schreie lösen sich dann wieder melodisch-harmonisch auf. Auch das E-Piano von Davide Incorvaia ist jetzt deutlich besser zu hören. Mit modal anmutenden Anschlägen passt es in bester Tradition eines McCoy Tyner hervorragend zum Thema. Mittlerweile brennt das ganze Quartett, dann auch das Publikum.

Das Solo von Carmelo Leotta in der Art eines kammermusikalischen Streichens der Bassgeige geht in der luftigen und launigen Biergarten-Atmosphäre ein wenig verloren. Wer will es dem Publikum heute verdenken? Das wiederholte Anfangsmotiv mit seiner hymnischen Stimmung kehrt wieder und bringt gleichermaßen die Aufmerksamkeit der Anwesenden zurück – Trane´s Tree.

Corazon (Jo Barthelmes)
Das ist eine (Liebes)Ballade von Jo Barthelmes mit autobiografischen Elementen. Demzufolge gehören auch Melodie- und Stimmführung dem Saxofon. Die Ballade gerät ins Swingen, dezent wie subtil. Das ist wieder eine Gelegenheit für Pianist Davide Incorvaia, seinen solistischen Beitrag zum Gruppen-Sound beizusteuern. Danach gehört die Aufmerksamkeit wieder dem Tenor: der volle Ton, die geballte Ladung Expressivität. Auseinandersetzung und Verehrung der großen Jazz-Klassiker des Tenorsaxofons werden unüberhörbar bekundet.

New Moon (Steve Grossman)
So heißt der Titel von Steve Grossman. Der passt gut ins Repertoire des Quartetts und demzufolge ist zu hören: ein akzentuierter, treibender Rhythmus, über den ein agiles Sopran-Sax seine Klangfarben mit intensiven Improvisationen aufsprüht. Kongenial die Rhythmusgruppe.

Blue/my Way to Sphere (Jo Barthelmes/Bardo Henning)
Auftakt, das Thema wird noch gesucht, es bleibt in der Schwebe zwischen verhaltener Einstimmung und Fahrtaufnahme. Die Musik beschwört stärker energetische Felder mit freiem Klangcharakter als harmonische Motive. Dann ist es soweit. Das Thema ist gefunden und stellt sich als klassischer Blues ohne jeden Schnörkel vor. Über eine leicht swingende Basis erspielt Jo Barthelmes seine melodischen Linien. Dann ist das Piano dran, seine Seele in die Musik einzubringen. Nach dem bluesigen Solo des Pianisten will auch der Bass nicht im Abseits stehen und bietet dem Thema seinen Tribut: Den Blues zum Swingen bringen, wobei er sich vom souveränen Drummer unterstützen lässt. Den musikalischen „Rest“ erledigt das Sax.

Konzert der verlorenen Söhne (Jo Barthelmes)
Der Titel klingt spannend und erweckt Neugierde. Zunächst ist Paolo Eleodori mit seinem Schlagzeug dran, seine solistischen Fähigkeiten zu zeigen. Das tut er in der Art und Weise, die von einem erfahrenen Jazz-Drummer erwartet werden kann. Power Play gewiss, aber nicht wuchtig dreschend, sondern differenziert trommelnd. Das Sax präsentiert nun das Thema, baut es stringent weiter aus, jetzt tönt es balladesk. Das wird durch die elegante Bearbeitung der Becken und den in tiefen Lagen gestrichenen Bass weiter verstärkt. Piano-Kaskaden kommen hinzu. Die Klänge haben im Augenblick einen gewissen kammermusikalischen Charakter, der sich jedoch ziemlich frei zeigt. Nachdem der Pianist sich frei gespielt hat ist, machen das ebenfalls Bass & Drums, dann das Sax. Expressiver Tenorsound mit dramatischen Spitzen und „dreckigen“ Sequenzen.
Der verlorene Sohn ist zurück – The Tenor is Back.

Jo Barthelmes Hipnosis
Jo Barthelmes Hipnosis, Foto: Bernd Kumar

Text: Cosmo Scharmer
Foto: Bernd Kumar

Wer nicht dabei sein könnte hier ein Album Release Konzert vom 29.04.2021

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