Joris Roelofs - Amateur Dentist

Joris Roelofs
Amateur Dentist
Erscheinungstermin: 08.01.2016
Label: Pirouet, 2015
Amateur Dentist: Auf ihrer zweiten PIROUET-CD schaffen es der niederländische Bassklarinettist Joris Roelofs und seine Trio-Partner Matt Penman (Bass) und Ted Poor (Schlagzeug) wieder, mit Klängen voller schillernder Farben zu überraschen. Noch aufregender loten sie die Möglichkeiten der seltenen Besetzung aus – und entführen in ebenso zärtliche wie aufwühlende Soundwelten. Musik, die Spaß macht und fesselt!
Mit seinen tiefen Tönen hinterließ er Spuren. Viel Jubel gab es zum PIROUET-Debüt des Bassklarinettisten Joris Roelofs, Aliens Deliberating, im Frühjahr 2014. „Die faszinierende Magie der Bassklarinette“ entdeckte der Kritiker der Zeitschrift Jazz’n’More i n d em A lbum, „schlicht ein kleines Meisterwerk“, konstatierte das Magazin RONDO, ein Musizieren mit „Strahlkraft“ und „Dringlichkeit“, zugleich auch „schmeichelnd mit vollem Ton“, lobte das Fono Forum. Und besonders prägnant fasste all dies das Jazzpodium zusammen – mit der Feststellung: „Hier reift ein Neuer, vielleicht bald schon ganz Großer“, einer, der in bestimmten Stücken swinge „wie der Bassklarinettenteufel“. Hier nun legt der Niederländer Joris Roelofs seine zweite CD bei PIROUET vor. Sie trägt wieder einen sehr schillernden, gewitzten Titel: Amateur Dentist — der später hier auch erläutert wird. Und sie enthält Musik, die mit noch größerer Klangvielfalt als die Vorgänger-CD verblüfft: Funkelnde, irisierende und intensitätsgeladene Ausdruckskraft und Farbenpracht mit einer Besetzung, die fast spartanisch wirkt: Bassklarinette, Kontrabass und Schlagzeug. Ganz schnell wird beim Hören deutlich, was für ein meisterhaftes Ensemble Roelofs und seine beiden Partner Matt Penman (Bass) und Ted Poor (Drums) sind.
Sie können Stück für Stück überraschen, mit unerwarteten Klangfacetten faszinieren. Und sie werden Fans eines straight swingenden Jazz genauso fesseln wie Liebhaber ganz zarter Jazz-Kammermusik, die manchmal auch auf Vorlagen aus der E-Musik zurückgreift. Und nicht zuletzt ist dies eine Musik, bei der ganz stark die Lust spürbar ist, die die drei Musiker antreibt. Und zwar nicht nur Forscherlust, sondern erst recht Spiellust. Und die Lust am Auskosten von Klang.
Die war bei dem 1984 geborenen Joris Roelofs ausschlaggebend dafür, dass er sich seit 2010 ganz für die Bassklarinette entschied. Der Musiker, der 2007 am Amsterdamer Konservatorium seinen Master machte, war zunächst als Altsaxophonist und Klarinettist bekannt, gewann zu dieser Zeit auch schon angesehene Preise, wie den Pim Jacobs Preis und in den USA den Stan Getz/Clifford Brown Fellowship Award. Als Mitglied des Vienna Art Orchestra (2005 bis 2010) musste er in bestimmten Stücken auch Bassklarinette spielen – und war so fasziniert, dass er schließlich bei diesem Instrument blieb – mit einer „neuen Liebe“ verglich er das einmal. Eine Liebe, die ganz offenbar noch immer heftig lodert. Seine beiden Partner sind – wie Roelofs selbst — Musiker von ganz großem Format und hoher Flexibilität. Der 1974 in Neuseeland geborene Matt Penman zählt zu den besonders gefragten Bassisten in New York. Mit Musikern wie Kenny Werner, Kurt Rosenwinkel, Wolfgang Muthspiel, Guillermo Klein und Nils Wogram hat er gespielt. Sein Spiel lebt von einer ganz eigenen Mischung aus Kraft, Geschmeidigkeit und musikalischer Vielseitigkeit. Ted Poor, 1981 in den USA geboren, hat sich seit den frühen 2000er Jahren einen Namen gemacht, mit Gitarrist Ben Monder und Trompeter Ralph Alessi das interaktive Trio Third Wheel gegründet, mit Musikern wie Chris Potter, Bill Frisell, Marc Ducret und Maria Schneider gespielt: ein Kommunikations-Meister an Trommeln und Becken.
Dieses Trio ist ein Wunder des Wandelbaren. „Riesige dynamische Unterschiede“ könne er mit Partnern wie Matt Penman und Ted Poor realisieren. Hier entsteht eine ganz intensive – und nicht zuletzt intime — Kommunikation. Ein besonderer Reiz entsteht dadurch, dass hier in einer Besetzung ohne Harmonie-Instrument wie Klavier und Gitarre zwei tiefe Melodie-Instrumente in Dialoge treten und ihren ganzen Tonvorrat nutzen müssen, um alle klanglichen Bereiche abzudecken. Roelofs sagt: „Wir haben die Rollenverteilung noch weiter ausgebaut. Bass und Bassklarinette verzahnen sich noch mehr im Wechsel von Solo und Begleitung. Ich habe auch versucht, ein paar klassische Stücke (von Alexander Skrjabin und Guillaume de Machaut) zu arrangieren und wieder ein Ellington-Stück aufgegfriffen (Such Sweet Thunder), wobei ich so viel wie möglich die Klangmöglichkeiten, die Dynamik und die rhythmische Flexibilität dieses Trios verwende.“
Schönheit mit System. Wie auch bei Aliens Deliberating, gibt es auch für die Stücke auf Amateur Dentist spannende Hintergründe. Roelofs formuliert sie selber so: „Das erste Stück, Snakes and Eagles, bezieht sich auf Nietzsches Also sprach Zarathustra, wo sowohl der Adler (Stolz, Macht, Kraft) und die Schlange (Weisheit, Intellekt) eine wichtige Rolle spielen. Pseudo Bebop ist ein kurzes Interlude, und es heißt so, weil es Fake-Bebop ist; es hört sich vage an wie Bebop, aber die Time stimmt nicht, und die Töne sind nur Obertöne. Para Poli heißt ,zu viel‘ auf Griechisch. Ich war jetzt oft auf Kreta, und bestimmte Wörter haben mir speziell gefallen. Auch hat das Stück ganz viele Akkorde – fast zu viele. Amateur Dentist ist wieder ein Interlude. Ich mag es, die Phantasie spielen zu lassen und absurde Sachen in der Musik darzustellen. Wenn uns das gelungen ist, was wir vorhatten, hört man, wie ein Zahnarzt fieberhaft bohrt und schleift und rüttelt. Dieser Titel hat mir am besten gefallen als Album-Titel: Einerseits ist es etwas, das keiner erwartet, andererseits weckt es konkrete Bilder und Vorstellungen. Ich wollte damit übrigens keineswegs Zahnärzte beleidigen, eher schon: mich ernsthaft in das hineinversetzen, was sie tun. Samurai Curtain kommt eigentlich von dem holländischen Wort ,Samenreiskorting‘, das man von der holländischen Bahn kennt und das ganz wörtlich übersetzt ,Zusammenreise-Ermäßigung‘ heißt, also einen günstigen Gruppentarif meint. Nachdem eine Schaffnerin Ted und Matt auf Holländisch vorgeworfen hatte, dass sie keinen ,Samenreiskorting‘ gelöst hatten und die beiden natürlich kein Wort verstanden, habe ich mich gefragt, welcher englische Ausdruck am meisten diesem merkwürdigen holländischen gleicht. Da kam ich auf Samurai Curtain. Vielleicht können darüber aber nur Holländer lachen.“
Faszinierend wie diese Geschichten und Gedanken sind die Töne. Es hat durchweg auch etwas Augenzwinkerndes, wenn etwa in Duke Ellingtons Such Sweet Thunder der gestrichene Bass die Melodiestimme übernimmt und darunter die Bassklarinette die rhythmisch wiederkehrende Begleitfigur spielt — die dann natürlich zwischen den Instrumenten hin und her wandern wird. Ganz andere Welt, wenn dasselbe Trio auf dieser CD die zugleich lyrische und spannungsgeladene Kantilene aus der Klaviersonate Nr. 1 des russischen Komponisten Alexander Skrjabin in zunächst aufwühlende und dann zerbrechlich zärtliche Töne von erhabener Anmut überführt. Oder aber, im letzten Stück der CD, Kyrie, auf die ersten beiden Teile Kyrie und Gloria der Messe de Nostre Dame von Guillaume de Machaut aus dem 14. Jahrhundert zurückgreift und sie fein und sensibel in der Ästhetik des heutigen Jazz aufgehen lässt. Lust und Innigkeit sind auch hier die Komponenten, die diese Musik zu einem bewegenden Klang-Erlebnis machen. Musik, die Kopf und Herz gleichermaßen stark ansprechen — und dabei nie die menschlichen Humor- Zonen vergisst.
Joris Roelofs, bass clarinet
Matt Penman, bass
Ted Poor, drums
- Snakes and eagles
- Broadway
- Pesudo bebop
- Para poli
- Funebre
- Amateur dentist
- Twerp
- Samurai curtain
- Such sweet thunder
- Kyrie and gloria
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