Joshua Redman & Brad Mehldau - Nearness

Joshua Redman & Brad Mehldau
Trios Live
Erscheinungstermin: 09.09.2016
Label: Nonesuch, 2016
Auf „Nearness“ werden Live-Aufnahmen der letzten Europa-Tournee von Redman und Mehldau zusammengefasst. Das Ergebnis ist kein typisches Live-Album. Der Saxofonist und der Pianist machen die Bühne zum Studio und das Publikum zum spontanen Produzenten. Die aus dieser Spielsituation resultierende Spannung reißt die Protagonisten jedoch nicht weg. Sie nutzen diese als gestalterisches Mittel, verzichten auf Live-Rituale und spielen mit unglaublicher Konzentration. Zwar eröffnen sie ihren Reigen mit Charlie Parkers „Ornithology“, und doch nehmen sie dem Track seine elitäre Bebop-Hektik und zelebrieren ihn als vollendete Kombi aus Komposition und Intuition. Der im Jazz viel zu leichtfertig ins Feld geworfene Begriff der Improvisation fächert sich hier in spontanes Erfinden und feinsinniges Nuancieren. Entscheidend ist der Grad von Bewusstheit, mit dem all das passiert.
Brad Mehldau und Joshua Redman wissen in jedem Augenblick hundertprozentig, was sie tun. Jeder Song wirkt, als würde er in genau diesem Kontext zum allerersten Mal ertönen. Das Motto „Nearness“ trifft es perfekt. Alles offenbart sich über die Nähe. Ein alternatives Motto wäre „Respekt“, denn die beiden Musiker respektieren sich nicht nur gegenseitig mit ihren komplett unterschiedlichen Hintergründen und Erzählweisen, sondern sie bringen jedem einzelnen Song und Ton ebenso viel Achtung entgegen wie jedem Hörer, egal ob sofort im Publikum oder später unterm Kopfhörer. Diese Musik wurde nicht gemacht, um zu zeigen, dass man sie so spielen kann. Das ist weder die Nabelschau des gegenwärtigen Standes zweier Ausnahmemusiker noch das abschließende Dokument einer Tour fürs Jazz-Archiv. Nein, „Nearness“ erfüllt nur einen einzigen Zweck: diese Songs wollen gehört werden, von jedem, der dafür offen ist, denn sie sind voller Tiefgang, Kraft, Leidenschaft, Sehnsucht und unbeschreiblicher Schönheit.
Pianist Brad Mehldau und Saxofonist Joshua Redman verbindet eine lange gemeinsame Geschichte. 1994 debütierte Mehldau auf Redmans CD „Moodswing“. Vier Jahre später interpretierten sie auf Redmans Album „Timeless Tales (For Changing Times)“ erstmals gemeinsam Standards, wobei sie diesen Begriff bereits sehr frei auslegten. Über die Jahrzehnte wuchsen die beiden Musiker immer enger zusammen, sodass sie miteinander Freiräume ausleben konnten, die eben nur in dieser Kombination möglich waren. Seit mehreren Jahren verkürzen sie diese Zweisamkeit im Klang aufs Duo. Seit 2008 auf Festivals gefeiert, stellt sich das Redman-Mehldau-Duo seinen Hörern endlich auch auf CD.
Obwohl die beiden Musiker nun auch in den Mittvierzigern stecken, versprühen sie immer noch den Charme der Jugend. Das mag daher kommen, dass sie Mitte der 1990er Jahre den Jazz von unten aufmischten und – so viele stilistische Phasen sie seitdem durchschritten haben – diese spielerische Frische niemals abgestreift haben. Redman lernte den Jazz an der Seite seines Vaters, des begnadeten Free Jazz-Saxofonisten Dewey Redman, der seine Meriten bei Ornette Coleman und Charlie Haden sammelte. Er trug die gestalterische Freiheit des Free Jazz zurück in populärere Spielweisen des Jazz und hat auch im Mainstream niemals den Zugriff auf seine unglaublich breite Ausdruckspalette eingeschränkt. Mehldau infizierte kammermusikalische Jazz-Kontexte vor allem im Piano-Trio mit dem subversiven Geist des Alternative Rock. Mit schöner Regelmäßigkeit covert er hingebungsvoll Songs von den Beatles, Radiohead oder Nick Drake. Um sein ganz spezielles Gemisch aus Stil, Haltung und Geschmack adäquat zu umschreiben, wurde der Begriff Post Romanticism erfunden. Dabei ist Brad Mehldau längst ein Markenname für sich, der keiner Umschreibungen bedarf.
- Ornithology
- Always August
- In Walked Bud
- Mehlsancholy Mode
- The Nearness of You
- Old West
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