Mino Cinelu & Nils Petter Molvaer SulaMadiana

Mino Cinelu & Nils Petter Molvaer SulaMadiana

Mino Cinelu & Nils Petter Molvaer
SulaMadiana

Erscheinungstermin: 04.09.2020
Label: Modern Recordings, 2020

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Wie kann es gelingen, allein aus Tönen, Klängen und Rhythmen eine komplette Welt zu erschaffen? Eine Welt voller Tiefe und Weite, voller Farben, Bewegungsabläufe und Erscheinungsformen, mit Temperaturunterschieden und divergierenden Zeitläufen. Auf SulaMadiana braucht es nur zwei Musiker, um genau eine solche Welt zu formen.

Nils Petter Molvaer und Mino Cinelu haben jeder für sich lange Wege zurückgelegt, bis ihr Treffen unausweichlich wurde. Cinelu erlangte internationale Bekanntheit auf Miles Davis’ Alben wie „We Want Miles“ oder „Amandla“. Gerade seine perkussiven Erzählstränge gaben diesen Platten mystische Tiefe und räumliche Transparenz. Er arbeitete an mehreren Einspielungen von Weather Report und bis in die jüngste Vergangenheit bei der Langzeit-Prog-Institution „Gong“ mit. Auch Herbie Hancock, Pat Metheny, Sting, Santana, Lou Reed oder Laurie Anderson bedienten sich seiner Fertigkeiten. Seine CD „Quest Journey“ (2002) wirkt wie eine Sammlung packender Kurzfilme, und 1995 entfachte er im Verein mit Dave Holland und Kevin Eubanks schon einmal den Zauber einer kompletten Klangwelt. Nils Petter Molvaer zählt zu den herausragenden Persönlichkeiten des europäischen Jazz. 1997 debütierte er mit der CD „Khmer“, die nordische Naturempfindung mit südostasiatischer Klangphilosophie verband. Seine Reise in die unerforschten Winkel des Sounds erstreckt sich über ein knappes Dutzend Platten, auf denen er unterschiedlichste Kombinationen akustischer und elektrischer Klanggenerierung ausprobierte. Seitensprünge genehmigte er sich 2013 mit dem Berliner Elektronik-Produzenten Moritz von Oswald, 2018 mit den Reggae- Philosophen Sly & Robbie und mehrfach mit Bill Laswell.

Der norwegische Trompeter und der französische Perkussionist repräsentieren zwei Welten, die auf den ersten Blick gegensätzlicher kaum sein könnten. Die zwei Meister der Visualisierung von Klang und Hörbachmachung des Sichtbaren sind zwar musikalisch auf dem gesamten Planeten zu Hause, aber während Molvaers heiser verhangene Trompetensounds eher boreale Kälte assoziieren, steht Cinelu für das rhythmische Feuer Lateinamerikas und Afrikas. Auf SulaMadiana haben sie endlich ihre gemeinsame Spielwiese gefunden.

Erstmals trafen sich die beiden Vollblutmusikanten 2015 in einer Höhle im türkischen Cappadocia. Molvaer spielte ein Solokonzert mit Electronics, und Cinelu hörte ihm vom Mischpult aus zu. Diesem Umstand maß der Trompeter noch nicht allzu viel Bedeutung bei, aber dass Cinelu nach dem Konzert immer noch am selben Platz saß, überraschte ihn. Sie kamen ins Gespräch, und als sie am nächsten Morgen zum Flughafen fuhren, entstand der Plan für ein gemeinsames Projekt. Es sollte zwei Jahre dauern, bis sie sich in Paris bei einem Allstar-Konzert Ibrahim Maaloufs erneut trafen und diesen Wunsch bekräftigten. Weitere Projekte in Deutschland und Polen folgten, und das Bedürfnis nach einer Zusammenarbeit nahm immer mehr Form an. Schließlich traf man sich in Oslo zu einem Studiotermin. „Der beste Weg, etwas anzufangen, ist es anzufangen.“, schwärmt Cinelu. „Also sagte ich, lass uns anfangen. Nils brachte einen Groove mit, ich mochte ihn, wir reicherten ihn um Sounds und andere Grooves an, wollten eine Melodie finden und es machte einfach Bum. Das war wirklich eine Reise. Viel Blut, Schweiß und Tränen, aber noch mehr Liebe.“ Anfang 2020 wurden die Aufnahmen in Cinelus Studio in Brooklyn abgerundet.

Die Post-Production brachte dann abermals neue Herausforderungen mit sich. Aufgrund von Corona fand sie in einer Art Überseekooperation separat in Brooklyn und Oslo statt, was womöglich noch mehr Raum in den Sound trug. Leicht war es dennoch nicht. „Ohne die innige Freundschaft, die wir im Lauf dieses Prozesses entwickelten, hätten wir dieses Projekt wohl nie zu Ende gebracht“, resümiert Cinelu.

Man kann aus der Wundertüte SulaMadiana das Echo von Miles Davis, Gong oder den bisherigen Molvaer-Arbeiten herausfiltern, und doch öffnen Molvaer und Cinelu auch Türen zu ganz neuen Welten. Der Albumtitel ist keine antike Zauberformel, sondern ein Bekenntnis zu den Biografien beider Musiker. Sula ist die Insel, von der Molvaer kommt, Madiana ein Synonym für Martinique, woher Cinelus Vater stammt. Das Bekannte, Vertraute und bereits als errungen Empfundene verbindet sich auf SulaMadiana mit einer Ahnung von Sounds hinter dem Horizont, schillernd, schimmernd und immer verheißungsvoll.

Die individuellen Rollen auf SulaMadiana sind sehr flexibel. Cinelu wird auf seiner Percussion zum Sänger, während Molvaers elektronisch verfremdeten Klangflächen ein latent treibender Puls innewohnt. Cinelu spielt akustische Gitarre, Molvaer beschwört auf der E-Gitarre Drones herauf. Die Osmose der beiden Musiker ist enorm. „Wir sind unterschiedlich, aber eine Gemeinsamkeit von uns besteht darin, dass wir den Dingen gern Raum geben“, rekapituliert Molvaer. „Ich schaffe Raum für ihn, er schafft Raum für mich, und beide schaffen wir Raum für die Musik.“ Und Cinelu ergänzt: „Es spielt keine Rolle, wer in der Musik welche Anteile hat. Wir kennen unser beider Kulturen, finden Brücken und Kreuzungen und beschreiten oft Wege, die in dieselbe Richtung führen. Wir haben alles gemeinsam geschrieben und folgten unseren Gefühlen. Es gibt weder Grenzen noch Barrieren.“

Die Fülle der Klangbilder, ethnischen Verweise und historischen Referenzen ist geradezu atemberaubend. Cinelu verneigt sich auf dem Album bewusst vor seinem Mentor Manu Dibango, den er einen Weisen nennt, dem jüngst verstorbenen Meister des Afrobeat Tony Allen und dem ebenfalls erst vor wenigen Wochen gegangenen Jazz-Drummer Jimmy Cobb, mit dem er die Miles-Davis-Erfahrung teilte. Noch viel spannender ist jedoch der Fakt, dass besagte Klangbilder sich bei jedem Hören neu zusammensetzen und der Faktor des Staunens bei jedem Hören wächst. SulaMadiana ist eine Welt für sich, die entdeckt werden will. In Zeiten wie diesen ist es extrem beruhigend, dass es wenigstens noch Musiker gibt, die die Welt als Ganzes im Auge und Ohr behalten.

Text: Modern Recordings

  1. Le monde qui change
  2. New York Stroll
  3. SulaMadiana (For Manu Dibango)
  4. Xingu
  5. Take the A# Train
  6. Theories of Dreaming
  7. Indianala
  8. Kanno Mwen
  9. Tambou Madiana (For Jimmy Cobb)
  10. Process of Breathing
  11. Rose of Jericho
  12. Song for Julle (For Tony Allen)
  13. SulaMadiana, Pt. 2

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