MOVE TO THE MUSIC - "Tower of Power" auf Deutschlandtournee in Hamburg am 7. Juli 2023

Tower of Power
Tower of Power, Foto: UnitedTalent Agency

Als ich ein Knabe war, ging ich zur Tanzstunde, das war seinerzeit, in den frühen Achtzigern, so üblich. Das war pubertätsbedingt mit großen Schwierigkeiten verbunden, aber es gab auch Bewegungsmuster, die man ohne das fremde, das andere Geschlecht imitieren konnte.

Damit konnte selbst ein unbeholfener Teenager sich einen Hauch von Weltläufigkeit geben. Und so erprobte ich im darauffolgenden Sommerurlaub an der Cote d’Azur bei einem Dorffest zum Quatorze Juillet meine neu erworbenen Fähigkeiten. An die Musik erinnere ich mich eigentlich kaum, aber an die sanft steigenden Aufmerksamkeitskurve der einheimischen weiblichen Bevölkerung meiner Altersgruppe. Plötzlich gehörte ich dazu, vergaß all die Hemmnisse und vermeintlichen Regeln. Damit war zwar die Pubertät nicht überwunden, aber ein erster Schritt ins Erwachsenwerden war gemacht.

Damals, in den Achtzigern, gab es die kalifornische Band "Tower of Power" schon etwa 15 Jahre. Ich bin mir nicht sicher, ob auf jenem südfranzösischen Tanzboden unter den Platanenbäumen, irgendein Stück der Formation gespielt wurde, das ist eher unwahrscheinlich, immerhin war da das damals letzte Album der Gruppe schon ein paar Jahre her.

Aber die Band spielt immer noch und ist derzeit auf Europa-Tournee. Die Gründer sind inzwischen jenseits der siebzig und natürlich ist zu erwarten, dass auch das heutige Publikum sich nostalgiebedingt aus ergrauten Herren zusammensetzt. Diese findet man gerade hierzulande häufig in den Jazzkellern und Konzertlocations eines Musikstiles, der in Zeiten von Autotune, Streamingdiensten und Four-to-the-Floor-Beats keine rechte Akzeptanz mehr haben mag.

"Tower of Power" zu beschreiben, scheint unter den Kennern müßig. Die gewollte Fluktuation der Mitglieder ist legendär, die Horn-Section ebenso. Tenorist Emilio Castillo, Baritonspieler Stephen "Doc" Kupka und Schlagzeuger David Garibaldi sind seit der Gründung 1968 dabei und spielen mit ihren Kollegen etwas, das sich mit "Funk & Soul" am besten beschreiben lässt. Vielleicht ist es auch ein wenig Jazz, man weiß ja nie.

Das Hamburger Publikum an einem warmen Sommerabend im Juli ist ungeduldig. Pünktlich mit dem Glockenschlag des angekündigten Konzertbeginns skandieren sie: "Tie Oh Pie, Tie Oh Pie" – die Abkürzung des Bandnamens. Man ist offenbar informiert über die Rituale, die sich für ein "ToP"-Konzert geziemen, was ja angesichts der langen Bandgeschichte nicht unerwartbar ist. Blickt man allerdings in die Menge der ausverkauften Hamburger "Fabrik" – wo sonst als an dieser legendären Konzerthalle sollte man diesen Auftritt erwarten – kann man sich nur wundern.

Natürlich findet man die alten Herren mit den verwaschenen Band-T-Shirts, die sind aber durchaus nicht in der Mehrzahl. Mittvierziger, die mit ihren Vätern gekommen sind, junge Mädchen in Croptops, die begeistert ihre Arme in die Luft werfen, als die Band "endlich" auf der Bühne steht sind dabei. Und sogar ein nasengepiercter Jüngling mit gegelter Neo-Punkfrisur hat ein – natürlich schwarzes – T-Shirt mit großem ToP-Aufdruck an und drängt in die Frontrow. Kurz – eine bunte Mischung hat sich da zusammengefunden, jenseits jeglicher Klischees über alterndes Publikum und erstarrte Strukturen im Konzertwesen.

Tower of Power
Tower of Power, Foto: Brian Rachlin

Die Band löst jegliche Erwartungen der Menge ein. Mit jener typischen, aber nicht uneleganten Grandezza der amerikanischen Entertainment-Industrie heizt der erst seit 2022 dazugehörende Sänger Mike Jerel sein Publikum an, all die Frage-Antwort-Spiele, Mitmachgesten mit "Boys" und "Girls"-Chören und jenem goldkettchenbewehrten und sonnenbrillentragendem Gestus, dem man einem Soulsänger per se zuordnen möchte. Er spielt eindrucksvoll mit all dem wohldosierten Pathos, das dazu gehören muss für die große Show, egal ob im Fillmore Auditorium in San Francisco oder in der leicht abgegriffenen Hamburger Fabrik.

Dazu die Horn-Section mit dem, was "Tower of Power" berühmt gemacht hat: Die unfassbar präzisen Einsätze, die genau akzentuierten Effekte, der so leicht klingenden Einheit zwischen Brass und Reeds. Es ist kein Wunder, das diese Formation gerne auch "ausgeliehen" wurde, von den Stones über die Eurythmics bis hin in die deutsche Rockprovinz reicht das Spektrum der Gastauftritte – es gibt tatsächlich einen Klaus-Lage-Song mit ToP-Beteiligung.

Und das manchmal emotionskühle Hamburg hat an diesem Abend tatsächlich den Funk. Textsicher nimmt man "Diggin’ on James Brown" auf, und es kommt Bewegung in die Menge, denn all der Soulschmacht, die flirrende Funk-Gitarre von Jerry Cortez (der immer wieder Plektren ins Publikum wirft), die treibenden Basslinien von Marc van Wageningen, das ist unbedingt auch tanzbar. So zucken auch die Füße der älteren Band-T-Shirt-Herren, gemeinsam mit Söhnen und Enkelinnen.

Und schön kann man sehen, wie der "funky stuff" hier vereint, auf der Bühne stehen alte weiße Männer, junge schwarze Hipster, leichte übergewichtige Latinos – der ganze "Melting Pot" ist hier vereint. Kein Gedanke an all die ideologischen und ressentimentsbeladenen Schlachten zwischen irgendwelchen Gruppierungen, die die Gesellschaft derzeit prägen, es geht um funky Music, Soul, Entertainment und – um Spaß.

Und den haben hier alle zusammen, trotz und wegen der alten Rituale, die so meisterhaft bedient werden. Und ein klein wenig Rührung ist auch dabei, wenn Emilio Castillo und "Doc" Kupka kurz daran erinnern, dass sie seit 55 Jahren gemeinsam auf der Bühne stehen. Eine kurze Berührung mit den kleinen Fingern, ein "invisible Touch", dann bricht das Bläsergewitter wieder seine Bahn.

Tatsächlich ist dieses Vergessen der Alltagsdebatten etwas, was diesen Abend auszeichnet – im Rückblick und im Augenblick. "You got to Funkifize" war ein Hit von "Tower of Power" im Jahr 1972, und darin heißt es weiter "Move to the music/Got shout and sing-a-ling" – das galt auf dem provençalischen Dorfplatz einst genauso wie jetzt in Hamburg. "Tower of Power" spielt am 17. Juli noch einmal in Frankfurt in der Theaterfabrik. Move to the music!

Text: Matthias Schumann
Fotos: UnitedTalent Agency, Brian Rachlin

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