Sebastian Sternal - Thelonia

Sebastian Sternal - Thelonia

Sebastian Sternal
Thelonia

Erscheinungstermin: 03.06.2022
Label: Traumton Records, 2022

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Sebastian Sternal - piano

„Den Entschluss für ein Soloalbum hatte ich schon eine ganze Weile vor der Pandemie gefasst“, räumt Sebastian Sternal ein mögliches Missverständnis umgehend aus. Dass der vielfach ausgezeichnete (WDR-Jazzpreis, Neuer Deutscher Jazzpreis u.a.) Pianist und Komponist nach bald 20 Jahren Profi-Karriere nun sein erstes Solo-Werk vorstellt, mag manche überraschen. Hat er doch mit seiner großformatigen Symphonic Society auf zwei Alben (beide erhielten Jazz-Echos, Vol.2 auch den Jahrespreis der dt. Schallplattenkritik) u.a. durch die Kombination von Jazz-Oktett und Streichquartett äußerst erfolgreich Genregrenzen aufgelöst. Danach brillierte Sternal im dynamischen Trio mit dem amerikanischen Star-Bassisten Larry Grenadier und Jonas Burgwinkel – für das Album Home erhielt er 2018 seinen dritten Echo.

Eine Einspielung im Alleingang, mit dem Flügel als singulärem Gravitationszentrum, war für Sebastian Sternal eine logische Entwicklung, nach all seinen verschiedenen früheren Projekten. Zu denen auch noch unterschiedliche Duos zählen, etwa mit Frederik Köster. Bei der Umsetzung des Plans kamen die besonderen Umstände des Jahres 2020 nicht ganz ungelegen. „Der ersten Aufregung über Corona im März folgte die Phase, in der alle ruhig zuhause blieben“, erinnert er sich. „So ging es mir natürlich auch. Ohne Konzerte und Außentermine änderte sich mein Leben tiefgreifend. Also habe ich einige Wochen lang viel alleine am Klavier gesessen und intensiv gearbeitet.“ Zusätzlich angespornt durch einen bereits verabredeten Aufnahme-Termin im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks, begann er eine profunde „künstlerische Forschung“.

Das Ergebnis ist Thelonia, sein bislang intimstes Werk. „Ich spiele seit 32 Jahren Klavier, da erlebt man einiges“, sagt der 1983 geborene, inzwischen in Frankfurt ansässige Musiker. Die neue Produktion spiegelt viele Facetten von Sternals Kreativität der vergangenen Jahre und natürlich seine gesamte künstlerische Entwicklung. „So ein Soloalbum wäre vor fünf Jahren sicher noch ganz anders ausgefallen. Ich habe das Gefühl, dass meine Musik heute eine größere Selbstverständlichkeit hat. Damit meine ich gar nicht unbedingt das Material, die 'Zutaten' meiner Musik, sondern eher, wie ich in der Improvisation damit umgehe. Ich erzähle inzwischen noch stringenter, was ich sagen will.“

Dabei spielt die Konzentration auf die eigenen Kräfte natürlich eine substantielle Rolle. „Alleine am Instrument zu sitzen ist viel fokussierter und führt außerdem zu einer anderen Emotionalität. Meine Beziehung zum Klavier als einem treuen Freund ist tief, auch wenn wir zwischendurch mal miteinander kämpfen. Unwillkürlich kommt mir dabei ins Bewusstsein, was am wichtigsten ist.“ Während des Komponierens habe er sich an Stücke aus der Vergangenheit erinnert, erzählt Sternal, manche davon gelangten letztlich sogar aufs Album. „Coffee Bay beispielsweise stammt von meiner ersten Trio-CD von 2007 und klingt heute natürlich sehr anders.“ Hier bedient sich Sternal (wie auch in Free) erweiterter Spieltechniken im Inneren des Flügels. Die Titel Prayer, Calgary und J.T. fanden sich schon mehrfach in früheren Repertoires, sie wurden ursprünglich für die Society oder für das Duo mit Köster geschrieben. Die große Mehrheit der Kompositionen auf Thelonia ist aber ganz neu.

„Ich nahm mir viel Zeit, um bestimmte Klangfarben und Spielweisen auszuprobieren, Varianten mit unterschiedlichen Basslinien und Akkorden auszuloten – und manches davon wieder zu verwerfen“, beschreibt Sternal den Entwicklungsprozess im Frühjahr 2020. Er komme der Essenz immer näher, indem er an manchen Stellen Verzicht übe, an anderen weiter gehe als früher. „Bei einer Solo-Produktion hat man die Freiheit, alleine zu entscheiden, wo es langgeht. Niemand zieht dich weg, wenn du mal etwas länger bei einem Motiv verweilen möchtest. Oder interveniert, wenn du eine bestimmte Stelle so belassen willst, wie sie ist, ohne zusätzlich noch etwas reinzupacken. Die einzigen Grenzen sind die meiner Phantasie, das habe ich versucht bewusst zu zelebrieren. Auch indem ich bei den Aufnahmen manche Stücke komplett improvisiert habe.“

Sternal bezeichnet sich selbst als Freund von Songformen, lyrischem Spiel und Anlehnungen an die klassische Romantik von Schumann, Brahms, Chopin. Andererseits verweist er auf sein nervös-sprunghaftes Birds, dessen Dissonanzen und offensive Expressivität in die entgegengesetzte Richtung gehen. „Ich mag auch offenere Strukturen und Brüche. Das habe ich bei meinem damaligen Professor John Taylor gelernt. Er verfügte über ein unglaubliches Gespür für die Verbindung von Schönheit und rätselhaften Brüchen.“

Schon das Aufmacherstück Arc spiegelt Sternals Idee wider, zuweilen subtile Rätsel aufzugeben. Auch Embraceable You bewegt sich vom eingängigen Leitmotiv in assoziative, geheimnisvolle Bereiche. „Es geht darum, Fragezeichen zu setzen, aber nicht immer die Antworten dafür zu liefern“, erklärt Sternal sein Konzept. Er flirtet mit kleinen Ungewissheiten, harmonischen Brechungen, dem Öffnen von Räumen für die Phantasie des Publikums. „Motive können zu Cliffhangern werden, zwischen manchen Stücken können Verbindungen entstehen, vieles ist durch das Album hindurch miteinander verwoben.“ Als weitere Inspirationsquellen neben Taylor und den klassischen Romantikern nennt Sternal französische Impressionisten (Debussy, Ravel) sowie den Geist von Ligeti, der besonders durch seine Improvisationen wehe.

Der Albumtitel Thelonia ist eine persönliche Widmung Sternals an seine Familie und natürlich auch eine Anspielung auf Thelonious Monk. „Ich bin großer Fan der Jazztradition, auch wenn sich das nur in sublimierter Form in meiner Musik spiegelt“, sagt Sternal. Die Umwandlung des Namens in die weibliche Form symbolisiert für ihn eine Öffnung, einen gedanklichen Brückenschlag von der Historie zur multi-dimensionalen Gegenwart. Es liegt nahe, dass Sternals Gestaltungswillen die beiden Standards des Albums, Gershwins Embraceable You und The Way You Look Tonight von Jerome Kern, ganz anders deutet als Monk oder Fats Waller. Zwar sieht sich Sternal auch in der Geschichte verwurzelt, gleichzeitig reflektiert sein Spiel Einflüsse aus vielen Richtungen – inklusive solchen, die nicht direkt erkennbar werden. „Ich habe in Paris zusammen mit Eve Risser studiert und finde ihre freie Spielweise sehr inspirierend. Auf der anderen Seite bin ich auch großer Fan der Elektro-Funkband Knower. Obwohl ich selbst ganz anders klinge bin ich davon überzeugt, dass solche Einflüsse ihren Weg in meine Musk finden, manchmal aber ganz indirekt.“ Wie vermutlich alle seines Fachs hat er sich mit Cecil Taylor und Art Tatum, Jarrett und Corea beschäftigt, aber eben auch mit Achim Kaufmann. Und so erscheinen all diese Auseinandersetzungen immer wieder als Wetterleuchten an einem sehr weiten Horizont.

Als Sebastian Sternal im Herbst 2021 Auszüge seines neuen Repertoires als Vorab-Premiere live vorstellte, notierte die FAZ: „Die Balance zwischen luftig-transparenten Passagen und temporären Verdichtungen prägt Sternals Soloprogramm ebenso wie seine persönliche Ausleuchtung von Jazz- und spätromantischen Einflüssen. [...] Zu Recht wird Sebastian Sternal für sein brillantes Spiel, seine Imaginationskraft und seinen Gestaltungswillen am Ende begeistert gefeiert.“ Eben diese Ausdrucksstärke Sternals macht nun auch den speziellen Charakter und die Intensität von Thelonia aus.

Text: Traumton Records

jazz-fun.de meint:
Mit diesem Album tauchen wir in eine völlig andere Welt des musikalischen Ausdrucks ein. Das Spiel mit Farben und die offene Form der pianistischen Gestaltung, die Intimität der Erzählung tragen dazu bei, dass dies ein außergewöhnliches Werk ist. Sebastian Sternal zeigt hier mit jeder Note seine große Persönlichkeit.

  1. Arc
  2. Eleven
  3. Birds
  4. Free
  5. Traum
  6. Ancient song
  7. Prayer
  8. Walk
  9. Forest rain
  10. Embraceable you
  11. Milonga
  12. Grains
  13. Calgary
  14. J.T.
  15. Landscape
  16. Lullaby
  17. The way you look tonight
  18. Coffee bay

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