Sylvie Courvoisier Trio Berliner Jazzfest 2021 im Silent Green – Kuppelhalle

Pianoexplosionen zwischen Ornette und Night Train

Sylvie Courvoisier Trio
Sylvie Courvoisier Trio, Foto: Camille Blake

Sylvie Courvoisier – Piano, Komposition
Drew Gress – Bass
Devin Gray - Schlagzeug

Klassische Besetzung eines Jazz-Piano-Trios. Der Auftakt ist schnell, quirlig, unruhig treibend. Zünftig geschlagene Akkorde gehen Hand in Hand mit flinken Läufen, die unbändige Tonfolgen erzeugen Die Drums gehen das hohe Tempo mit, klopfen provozierend zwischen die einzelnen Figuren des Pianos. Diese verändern sich zu dichten Clustern - also Tontrauben - samt ihrer brachialen Wirkung. Das ist kein Sound zum entspannten Ausruhen, zum gemütlichen Hören. Die Kollegen von Bass und Drums gehen voll mit, agieren in ihrem Spiel ähnlich der Pianistin, soweit es die Technik ihrer Instrumente zulassen. Dann ist schon Schluss: „Eclat for Ornette“, erläutert Sylvie Courvoisier den sperrigen Titel. Also eine Hommage an Ornette Coleman.

Akustisch leider schwer verständlich, bezieht sich der nächste Titel irgendwie auf Dixieland. Das wäre so ziemlich das Gegenteil des soeben gehörten, schon schrägen Titels. Jetzt werden heftige Akkorde in tiefen Lagen geschlagen. Riffartig wiederholt sich die Figur und bewirkt einen akzentuierten, gut bekannten Rhythmus. Da ist viel Boogie Woogie drin, der einfach abgeht. Drums & Bass machen mit, und alle zusammen liefern einen rhythmisch knatternden Sound, der an ratternde Züge und besonders an den klassischen Night Train des großen Jazz-Pianisten Oscar Peterson erinnert. Der Nachtzug stoppt gelegentlich, dann sind vereinzelt lyrische Anschläge des Pianos zu vernehmen. Bass und Drums halten sich vornehm zurück, wie es sich für ein Trio gehört, wenn die Pianistin die Chefin ist. Und das ist sie, denn sie hat die Themen- und Stimmführung inne und zeigt das mit überquellenden Kaskaden und energetischen Tastenschlägen, die sich dramatisch verdichten. Danach nimmt der rhythmische Night Train wieder ordentlich Fahrt auf, bevor er im Raum entschwindet.

Perlende Anschläge, wellenartig sich aufschaukelnde Motive aus dem Piano von Sylvie Courvoisier sorgen für Einführung ins nächste Thema. Diskret swingend machen die Jungs vom Rhythmus lässig wie sicher ihren Job. Derart, dass die Pianistin sich erneut mit wilden Anschlägen beider Hände – auch der Handrücken macht mit - austoben kann. Während der Kontrabass mitunter seine stärker melodischen Figuren und Linien spielt, ergeht sich das Piano in waghalsigen Ausflügen in eine freie Tonalität, eher moderat als streng orthodox.

Requien D´un Songe. Der folgende Titel könnte wiederum anders klingen. Zarte Tupfer auf die Tasten, ein vorsichtiges Herantasten ans Thema sprächen dafür. Aber schon bald werden die Improvisationen von Sylvie Courvoisier kräftiger, expressiver, steigern sich zur Fingerakrobatik einer virtuosen Pianistin. Das Thema schält sich heraus, die anderen stimmen ein. Bassist Drew Gress spielt eine gefällige, singende Ostinato-Figur, Trommer Devin Gray sorgt mit gerührten Besen für einen dezenten, aber wirkungsvollen Support. Aus dem Pianos entweichen jetzt Lyrismen, die aber nicht von langer Lebensdauer sind, um wieder einer rastlosen Expressivität Platz zu machen. Spitze, schnelle Tonfolgen, die keine Ruhepause, keine Stille benötigen. Es soll wohl nicht zu schön klingen, dann könnte frau ja Klassik spielen. Weit gefehlt, denn plötzlich entströmen dem Konzertflügel harmonische Wohlklänge, denen sich ihre Kollegen nicht entziehen können und korrespondierend mitspielen.

Ähnlich dem ersten Titel zeigt sich das John Abercrombie gewidmete Stück: South Side Rose. Ein gestrichener Bass mit harmonischen Klängen macht den Auftakt, die Drums sorgen fürs präzises Timing und erhöhen mit einzelnen Wirbeln und Breaks die Spannung. Dagegen flieht Sylvie Courvoisier erneut ins atonale Reich der Freiheit und liefert mit ihren energischen, hämmernden Anschlägen weitere Kostproben ihrer Fingerfertigkeit. Harmonische wie melodische Thema sind seltener ihre Sache, sie bevorzugt in ihrem Spiel stärker energetische Felder mit freier Expressivität.

Text: Cosmo Scharmer
Foto: Camille Blake

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