Ben van Gelder, alto saxophone, bass clarinet
Peter Schlamb, vibraphone
Sam Harris, piano, synths
Rick Rosato, bass
Craig Weinrib, drums
Mark Turner, tenor saxophone (on track 5 und 8)
Ben Street, bass (on track 5 und 9)
Was hier sofort auffällt, ist die besondere Mischung aus Klangkraft und Feinheit. Strömende Saxophonlinien, dichtes, kompaktes Spiel – und dabei eine ungewöhnliche Durchsichtigkeit. Dafür ist es gar nicht nötig, in ein Stück hinein zu zappen, in dem einer der ganz großen derzeitigen New Yorker Tenorsaxophonstars mitspielt, nämlich Mark Turner. Durchgehend – ohne ihn und mit ihm – eröffnet sich hier eine ganz eigene, dabei zwingend stringente Klangwelt. Kopf dieser Klangwelt ist der Altsaxophonist und Bassklarinettist Ben van Gelder, dessen erste Pirouet-CD Reprise hier vorliegt. Ben van Gelder ist Mitte zwanzig und gehört zu den mit viel Aufmerksamkeit verfolgten neuen Stimmen der New Yorker Szene. Der 1988 in den Niederlanden geborene Saxophonist spielt hier mit Partnern seiner eigenen Generation zusammen, sogar seines Jahrgangs – insgesamt vier Mitglieder dieses Quintetts sind gleich alt, der fünfte im Bunde aber auch noch keine dreißig. Altsaxophon, Vibraphon, Klavier, Bass und Schlagzeug ist die ungewöhnliche Besetzung dieses Quintetts – eine, die sofort überzeugt mit Klängen, die stets den Reiz des Überraschenden haben und dabei doch völlig organisch wirken.
Ben van Gelder – bei diesem Namen denken viele Jazzkenner an eine mögliche Verwandtschaft mit Rudy van Gelder, dem berühmten Studiochef in Englewood Cliffs, New Jersey, der Hunderte weltbekannter Aufnahmen gemacht hat. Doch Ben van Gelder stammt nicht aus New Jersey, sondern aus einer musikbegeisterten Familie in den Niederlanden, der Vater Besitzer eines Plattenladens, die Mutter eine klassisch ausgebildete Musikerin. Er tat sich früh in der Jazzszene um und sammelte schon zur Schulzeit Preise und Auftritte an so renommierten Jazz-Austragungsorten wie dem North Sea Jazz Festival. Er studierte in Amsterdam und ging bald nach New York. Dort hat er bei Musikern wie Lee Konitz und Mark Turner weitere Lernerfahrungen draufgesattelt und mit so unterschiedlichen Jazzgrößen wie Ari Hoenig und David Binney gespielt.
Seine Partner im Quintett hier auf der CD sind Bassist Rick Rosato, Schlagzeuger Craig Weinrib, Vibraphonist Peter Schlamb und Pianist Sam Harris, allesamt große junge Talente der New Yorker Szene, die in unterschiedlichen Formationen im Gig-Kalender der Stadt auftauchen. Mehr als zwei Jahre spielt diese Band nun zusammen. Eine Debüt-CD unter dem Titel Frame of Reference veröffentlichte sie schon 2011 mit zwei seit einigen Jahren von Kritikern und Musikern weit über die USA hinaus gefeierten Stargästen: dem Pianisten Aaron Parks und dem Trompeter Ambrose Akinmusire. Hoch gelobt wurde diese CD, die, wie die hier vorliegende, im Sear Sound Studio in New York aufgenommen wurde. In All about Jazz kann man darüber etwa folgenden Satz lesen: „Kaum zu glauben, dass Frame of Reference ein Debüt ist.“ In Kanada, den USA und Europa gingen die Musiker mit dem Programm der CD auf Tour. Diese Band ist also eine, die trotz der unverschämt jugendlichen Ausstrahlung ihrer Mitglieder – auf einem Foto auf der Homepage Ben van Gelders als fröhliche Bande selbstironischer Karohemden-Träger posierend – schon beträchtliche Erfahrung hat im Präsentieren eines eigenen Konzepts und eigener Stücke.
Die Kompositionen auf dieser CD stammen bis auf eine, R.E.L. (Autor: Peter Schlamb), von Ben van Gelder selbst. Es sind Stücke, die dieser Band mit ihrem spezifischen Klang auf den Leib geschrieben scheinen. „Wir haben viel Zeit darauf verwendet, einen Band-Sound zu schaffen. Die Kombination von Vibraphon und Klavier ist ungewöhnlich und schafft eine ganz eigene Textur. Jeder von uns hat einen starken Sinn für Form und ist kompositorisch beschlagen. Die Band kann groß und orchestral klingen und auch sehr minimal mit wenig akkordischer Information. Der wichtigste Punkt aber ist, dass jeder ganz genau hinzuhören versucht. Darüber hinaus haben wir uns alle viel mit der Jazztradition beschäftigt.“ So fasst Ben van Gelder die wesentlichen Absichten und Züge dieses Quintett zusammen. Und beim Hören kann man Vieles von dem, was hier anklingt wiederentdecken.
Die Kompositionen sind mal hymnisch, mal lyrisch, kosten die Kantilenen des Altsaxophons und die klanglichen Möglichkeiten, mit dem Vibraphon und dem Klavier Räume aufzufächern, lustvoll aus, nehmen sich dann aber wieder geschickt zurück, lassen Klänge allmählich wachsen und vor allem ungemein durchsichtig bleiben – dies etwa in einem Stück, dessen Titel diesen Umstand schon sehr genau ausdrückt, Crystalline. Aufregend ist, dass die musikalischen Bewegungen stets ungemein differenziert wirken, etwas Vieldimensionales haben. In Crystalline liegt unter einem sehr lyrischen Thema ein quirlig bewegtes, gar dahinpreschendes Schlagzeug. In Into Air It Disappears, jenem Stück mit dem Gast Mark Turner, pulsiert und brodelt ein Rhythmus, über den sich ein ausnehmend klarer Saxophonklang legt, der sich später mit dem eines zweiten Saxophons in kunst- und lustvollen Stimmführungen verzahnt: Der Moment, in dem Ben van Gelders Altsaxophon einsetzt und die Stimmen von Mark Turners Tenorsaxophon imitiert und kreuzt, gehört zu den Highlights in den vielen aufregenden Momenten dieser CD.
Durchweg ist zu hören, auf welch hohem Niveau sich diese Musiker bewegen, welche solistischen Fähigkeiten sie haben – doch nirgends finden hier lange Einzel-Vorstellungen statt. Es fällt besonders stark auf, dass hier alles stückdienlich und gruppendienlich angelegt ist. Oder, noch besser zutreffend: dass es stets um das musikalische Ganze geht und nicht um solistische Brillanz. Die geschieht gewissermaßen beiläufig und ist dennoch nicht weniger stark vorhanden. Es entsteht dabei eine Musik, die swingt und pulsiert, die lyrische Eleganz hat, rhythmisch durch Dichte, Durchsichtigkeit und Groove mitreißt – und nirgends beliebig wird. Es ist eine Musik, die ganz eindeutig aus dem Hauptstrom des zeitgenössischen Jazz kommt, sich in diesem aber so souverän und elegant bewegt, dass sofort ihre Eigenstellung auffällt: Dafür könnte Reprise, der Titel dieser CD stehen, das Aufnehmen eines Fadens und sein Fortspinnen auf ganz eigene Art. Eine große unaufgeregte Kraft entfalten die Aufnahmen dieses Quintetts – und eine subtile Schönheit mit vielen spannenden Details. Hier hört man Klänge so organisch auseinander hervorwachsen, wie es nur bei Musikern mit ganz feinen Ohren vorkommt. Dieses Quintett ist eine ganz besondere Entdeckung. Junger, frischer – und dabei erstaunlich reifer – Klang aus New York, der hochintelligent gebaut ist und dabei doch vor allem eines in jedem Moment spüren lässt: eine elementare Lust am Spielen.
- Introduction
- All Rise
- Crystalliine
- Tribute
- Into Air It Disappears
- R.E.L.
- Yarnin‘
- Reprise
- Evocation
- August
- Without Haste
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