Ganz normaler Wahnsinn - Peter Weniger Quartett im Berliner ZigZag 18.09.2021

Peter Weniger
Peter Weniger, Foto: Uwe Neumann

Peter Weniger - sax (D)
Julia Perminova - piano (RUS)
Thorbjörn Stefansson - bass (DNK)
Amund Kleppan - drums (NOR)

Die Titel im Detail

Eine Ballade vom ersten Ton an. Genauer: von den ersten Tönen, denn das Quartett legt gemeinsam los. Der Drummer verwendet Klöppel, die rollend Trommeln wie Becken zum Klingen bringen. Im Hintergrund setzt das Piano dezente Tupfer, das Sax spielt verträumte, ein wenig nostalgisch anmutende Linien und Figuren. Jetzt werden die Drums mit den Stöcken etwas energischer bearbeitet, die Anschläge des Pianos erobern den Vordergrund. Zusammen mit dem Bass, der subtil, aber umso wirkungsvoller, zu hören ist, entsteht ein Piano-Jazz, der eine ausgereifte Ballade in herbstlichen Klangfarben präsentiert. Das Stück steigert sich langsam, die Musiker erhöhen Spannung und Intensität, zu dem auch das ausgereifte Solo des Tenorsaxofons beiträgt.

Das sei „Wahnsinn“. So begrüßt der hocherfreute Peter Weniger das Publikum. In der Tat, es ist rappelvoll, so wie es in einem intimen Jazz-Club immer sein sollte. Peter Weniger empfiehlt die Türen zu schließen, damit das Publikum nicht „abhaut und bis zum Schluss bleibt“. Das wird nicht nötig sein, denn am Ende des Konzertes ist es so voll wie anfangs.

Der 2. Titel trägt als Wortspiel einen spanischen Namen und klingt so wie „El Cajon“. Stark swingend geht es weiter. Satte Tonfolgen des Tenors über souverän swingender rhythmischer Basis kreieren einen Sound, der mit viel Kenntnis der Tradition gespielt wird, aber keineswegs altbacken oder angestaubt klingt. Stattdessen ist ein gewinnender Swing mit viel Bodenhaftung und luftigen Soli zu hören. Das Bass-Solo von Thorbjörn Stefansson integriert sich lässig in diese frühlingshaft anmutende Klangwelt. Dann zieht der Drummer mit rollenden Breaks vom Leder, setzt noch einen dramatischen Akzent, bevor der Titel aus ist. Das vom “Wahnsinn” der Musik gepackte Publikum klatsch, tobt, rast.

Das nächste Stück lautet: New Born, wie Peter Weniger später verrät. Der Latin Beat der Drums verrät sogleich die stilistische Richtung. Das Sax übernimmt die melodische Vorstellung des Themas und das Quartett erspielt eine coole, latin inspirierte Ballade. Die nimmt jetzt zunehmend Fahrt auf und verströmt einen warmen Klangcharakter, wozu das Bass-Solo von Thorbjörn Stefansson wesentlich beiträgt. Seine runden, melodischen Figuren werden dezent von Piano und Drums und einem zustimmenden Lächeln von Peter Weniger unterstützt. Der treibt das Thema mit seinem expressiven Solo voller Virtuosität voran. Auch die agilen Improvisationen von Pianistin Julia Perminova verstärken den Sound: verhalten expressiv mit lyrischem Zungen- und Tastenschlag. Das Sax wiederholt dann die Anfangssequenz, bläst New Born aus.

Die folgende Komposition stammt von Drummer Amund Kleppan und trägt einen nordischen Namen als Titel. So nordisch tiefgründig klingt auch das Stück, aus dem dunkle wie nostalgische Klangwelten sich ausbreiten. Peter Weniger versprüht mit dem Tenorsax schwere Klangfarben in den Titel. Gleichermaßen füllen die Anschläge und Läufe von Julia Perminova dieses Tongemälde. Dabei versinkt sie in pianistischen Tagträumen und verstärkt dadurch den Balladen-Charakter des Titels, der durchs Sax behutsam ausgehaucht wird.

Umso heißer zeigt sich der folgende Titel, der den 1. Set beendet und sich als fetzig treibende Jagd durch harmonisch wie rhythmisch ausgefuchste Klanglandschaften erweist. Da ist viel Empathie, noch mehr Leidenschaft des ganzen Quartetts beim Erzeugen der Musik. Da kann niemand ruhig bleiben. Die Anwesenden bekunden ihre Zustimmung mehr als lautstark. Das einsetzende Solo von Drummer Amund Kleppan ist eine Art Intermezzo, ein verzögerndes Moment im diesem dramatisch-jazzigen Musik-Theater. Jetzt imitiert das Solo den weiteren Höhenflug. Diesen Impuls nimmt das Tenorsax auf und schraubt unbarmherzig Ausdruck wie Emotion weiter in die Höhe. Ebenso das ganze Quartett. Diese Musik ist eigentlich ein Rausschmeißer-Song. Schwer vorstellbar, dass es noch an Expressivität zu überbieten ist.

ZigZag
ZigZag, Foto: www.zigzag-jazzclub.berlin/

Der 2. Set startet mit einem Standard von Thad Jones. Als Einführung zu Lady Luck bläst Peter Weniger in seinem unbegleiteten Solo gefühlvolle wie melodische Figuren. Dann stellt das Tenorsax das Thema vor, und nun ist es ein Stück fürs Quartett, das die Jungs von der Rhyhmen Section zum Schwingen und Swingen bringen. Dafür sorgen auch die behutsamen wie akzentuierten Anschläge des Pianos. Das Stück ist was für melodisch-harmonische Gourmets.

Ein Bass-Solo, ruppig vorgetragen und perkussiv anmutend, stellt den Titel vor. Er bezieht sich auf Parolen der Volksbewegung im Chile der frühen 70-ziger Jahre und lautet dementsprechend: „El Pueblo unido, no sera vencido“. Das Thema dieses Refrains, ein melodischer Sing-Sang, ist erstmal nicht zu hören. Das Solo von Thorbjörn Stefansson nähert sich dem Ende, die Combo fällt ein. Die Figuren des Basses, schnelle Drums und akzentuiertes Piano liefern einen rhythmisch treibenden, dicht gewebten Klangteppich. In diesen Geflecht treibt, ja hetzt, das Tenorsax von Peter Weniger seine akustischen Eruptionen. Nicht atemlos durch die Nacht, sondern mit vollem Atem durch Nacht und (Club)Raum. Wild tönende Improvisationen, die mitunter tonal frei klingen, aber wohl nur der souveränen Beherrschung der harmonischen Skalen geschuldet ist. Egal. Ein packender Sound tobt durch das ZigZag. Jetzt ertönt auch die Melodielinie, dieser Sprechgesang: El Pueblo unido … Eine Hommage an Chile, an die historische Volksbewegung? Eine Hommage an die Freiheit, die Humanität? Vermutlich alles. Charlie Haden mit seinem Liberation Orchestra war wohl der prominenteste Vertreter dieser Auffassung im Jazz.

Weiter geht es mit Ex-Alpha, einem Titel von Amund Kleppan. Drums & Bass legen vor, das Piano legt nach, die Melodieführung hat das Sax inne, das dann solistisch wieder glänzen kann: Featuring the Sax of Peter Weniger, so könnte der Titel auch lauten. Julia Perminova will dem Sax an Expressivität nicht nachstehen. Dabei ist ihr Pianospiel stärker lyrisch im Ausdruck wie Anschlag.

Mit dem Standard My One and Only Love zeigt die Combo wie eine Ballade zu klingen hat, wie sie musikalisch zu erzählen ist. Eine Ballade zum Tag- und Nachtträumen, wunderbar lebendig vermittelt von Piano und Saxofon. Den Abschluss leitet der Saxofonist mit einen Solo ein, das dezent wie Flöte oder Oboe klingt und an orientalische Tonfolgen erinnert. Dann gibt es noch ein vollmundiges Sax-Solo, bei dem alles drin ist, was im Rohr steckt. Die einsetzende Band erledigt Thema und Publikum.

Wahnsinn, das solche Konzerte wieder möglich sind.

Text: Cosmo Scharmer

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