Musicals sind etwa gleich alt wie der Jazz. Beide haben sich auch von Beginn an stark beeinflusst, haben sich des Materials des anderen bedient. Die Jazz-Musiker entnahmen Titel aus den Musicals und machten sie zu ihren Stücken und dabei weltberühmt. So sei an My Favorite Things aus My Fair Lady erinnert, das John Coltrane zu einem Jazz-Klassiker machte. Oder die Stücke von Gershwin wie Porgy and Bess, die - neben vielen anderen Jazz-Größen - Miles Davis mit Summertime verewigte. Umgekehrt komponierten Persönlichkeiten wie Gershwin, Cole Porter und Bernstein mit zahlreichen Jazzelementen und schufen ein Material, das sich für Jazz-Interpretationen genial eignete. Soweit zu den Anfängen. Aktuell scheint bei einigen Jazz-Freunden eher Zurückhaltung oder Zaudern vorzuherrschen,wenn das Thema Musicals heißt. Das mag auch darin begründet sein, dass in den letzten Jahren viele Musicals auf die Bühne gebracht wurden,deren Handlung und Musik in den Pop-Bereich gehören und deren künstlerische Qualität eher bescheiden war. Solche Befürchtungen sind bei einem Stück über Frank Sinatra wohl gegenstandslos. Sein Leben und seine Musik bieten viel Stoff, der auf die Bühne gebracht werden kann. Dementsprechend dürfen Jazzer viel erwarten.
Frank Sinatras Musik
Seine Musik ist extrem vielfältig, trieft nur so vor Erfolg. Neben Swing gibt es weitere Genres: gefühlvolle (Liebes-)Balladen und einschmeichelnde Pop-Songs. Nicht nur die Jazz-Gemeinde, jeder, der sich für Musik begeistert, kennt diese Titel: Fly Me to the Moon, That´s Live, Strangers in the Night, The Lady is a Trump, My Way, New York - New York. Kurzum: Sinatra hat so gut wie alle berühmten Jazz-Standards präsentiert. Diese Titel haben normativen Charakter bekommen, sind zu einem Maßstab für swingenden Jazz geworden. Einige waren schon beliebte Standards, bevor „The Voice“ sie aufgriff, sie nach seiner Fasson interpretierte und den Erfolg erhöhte. Es sind seine Songs, sein Stil, es ist der swingender Big Band Jazz von Frank Sinatra. Die Messlatte liegt hoch für alle, die seine Musik spielen, sei es „nur“ als Song oder gar als Musical. Also, große Erwartungen und alle sind gespannt.
Die Sinatra-Musical Big Band
Eine Schwierigkeit, den Sound von Frank Sinatra auf die Bühne zu bringen, liegt darin, dass Sinatra stets mit vielköpfigen hochkarätigen Orchestern, gewaltigen Big Bands, die durch zahlreiche Streicher verstärkt wurden, gearbeitet hat. Wenn zu der klassischen 16-köpfigen Big Band noch weitere Instrumente und zahlreiche Streicher hinzukamen, so verfügte Sinatra über ein mehr als doppelt so starkes Ensemble wie die aktuelle Sinatra-Musical Band.
Es bedeutet für Musiker und Arrangements eine große Herausforderung, wenn mit einer „Big Band Light“ der Sinatra-Sound erreicht werden soll. Neben der traditionellen Rhythmusgruppe aus Piano, Drums und Bass besteht das Blech aus 2 Trompeten und einer Posaune. Die dreiköpfige Saxofon-Gruppe wechselt sich zwischen Alt-, Tenor- und Bariton-Sax ab. Ein klassisches Streich-Quartett verstärkt das Ensemble. Das klingt schon recht beeindruckend, ist auf alle Fälle mehr als nur eine Big Band Light, aber gemessen an den Orchestern, die Sinatra präsentierte, eher moderat. Dass sich der Arrangeur und die Musiker mehr als kräftig ins Zeug legen müssen, liegt auf der Hand. Ja, und das tun sie auch. Sie spielen alle so, wie der programmatische Titel es erwarten lässt: That`s Life, That´s Music, That`s Jazz.
Ein besonderer Aspekt ist dieser: In einem Musical über Sinatra sollte oder muss die Stimme wie der Meister klingen. Das erwartet das Publikum. Die bekanntesten und erfolgreichsten Titel müssen nahe an das Original heranreichen. Auf der anderen Seite ist eine gewisse eigene Interpretation der Titel erforderlich, wenn die Musik wirklich leben, also nicht nur eine Kopie des Originals sein soll. Beides zu verbinden gleicht eher einem Tanz auf dem schwingenden Drahtseil des Swings. Hier sind besonders die beiden Sinatra-Darsteller gefordert.
Das Musical als Schauspiel
Sinatras Karriere und seine Ehen mit Nancy Barato, Ava Gardner und Mia Farrow, das ist viel Rohstoff für jede Handlung auf der Bühne.
Die Musik
Ohne Ansage, mit Musik geht´s los. Swingende Sequenzen werden von der Band nur angespielt, es klingt nach einem kurzen Meadly zum Einstimmen und Aufwärmen. Mit dem Ende der Karriere fängt es an: das letzte Konzert von Frank Sinatra in LA. Die Moderatorin begrüßt den Star. Tam Ward als älterer Sinatra kommt in den Fokus der Scheinwerfer und legt los. Die ersten klassischen Standards wie der Cole Porter-Song „I´got You Under My Skin“ sind zu hören. Um es gleich vorwegzunehmen: Tam Ward macht seine Sache ausgezeichnet. Er intoniert und phrasiert die Titel in bester Jazz-Tradition. Dabei kommt er Sinatras Stil wirklich nah. Es ist nicht wichtig, ob er den Meister perfekt imitieren kann oder nicht. Wichtig ist, dass die Titel, der Swing in seiner Interpretation überzeugen, leben und emotional berühren. Das erreicht er mit seinem sanften Bariton allemal. Die Big Band steht dem Sänger nicht nach und liefert die Grundlage für einen unaufdringlichen Swing, der sich mal zurücknimmt, um den Stimmen den Vorrang zu lassen, mal stärker die Ästhetik der Songs durch hohe Präsenz betont. Dass das so dezent lässig klingt, liegt auch an den ausgefeilten Arrangements von Band Leader Gerald Meier.
Szenen eines Sängerlebens
Sinatras abwechslungsreiches, glamouröses Leben zwischen „Cost to Cost“ – LA, Las Vegas to Chicago, New York – liefert den Stoff aus dem die Handlung sich bedient. Regisseur Stefan Warmuth ist es gelungen, dieses Leben dramaturgisch auszugestalten.
Erste Szene: Der junge Sinatra (Jank Danailow) erzählt mehr als selbstbewusst von seinen Ambitionen, ein großer Sänger und Star zu werden. Er macht seiner Freundin Nancy Barbato eine Liebeserklärung und dann einer Heiratsantrag. „Night and Day“ singt Jank Danailow als junger Sinatra. Der hat es stimmlich bedeutend schwerer als der ältere Bariton-Sinatra, was zum Teil in seinem weniger voluminösen Tenor liegt und zum Teil unseren Hörgewohnheiten geschuldet ist, die stärker vom älteren Sinatra geprägt sind. Das berücksichtigend macht der Tenor seine Sache gut.
Nach der Ballade „Night and Day“ erklärt er:„ Du bist alles für mich und das wird auch immer so sein“. Doch schon in der nächsten Szene, die im Restaurant/Club spielt macht der potenzielle Ehemann der Kellnerin Avancen. Dazu spielt die Musik den Song „When they begin the Beguine“. Hier wird gezeigt, dass die Choreografie den Swing gut versinnbildlichen kann. Der klassische Tanzstil des Swing war und ist der Lindy Hop. Die Paare zeigen die Grundfiguren und dann artistische Varianten. Musik und Tanz machen den Swing bildlich, zeigen die einnehmende Ästhetik, wenn sie harmonieren, was hier der Fall ist.
Die nächsten Szenen: Sinatra, der intim Francis genannt wird, informiert Nancy stolz über sein Engagement beim nicht unbekannten Harry James Orchestra, mit dem er auf Tour gehen wird. Dazu passend klingt „All Of Me“. Der nächste Karriereschritt ist der Wechsel zu der renommierten Big Band von Tommy Dorsey. Dazu macht Frank die Heirat mit Nancy mit dem „Ding, Dong, Wedding-Song“ klar.
Nach dem Wechsel zum cleveren Top-Agenten George Evans gibt es ein Zwischenspiel beim legendären Benny Goodman Orchestra, bevor was passiert? Genau, „Frankie goes to Hollywood“. Jetzt erklingt einer der bekanntesten Goodman-Titel, der geradezu – auch weit über Jazzkreise hinaus - Kultcharakter hat: Sing, Sing, Sing! Und das machen alle Beteiligten. Sie singen, sie tanzen Lindy Hop und die Musik der Big Band swingt, alles so, wie es sich für gute Unterhaltung gehört.
Hollywood
Schnitt: Sinatra in Hollywood. Der Sänger Sinatra versucht sich als Tänzer und Schauspieler beim Film. Der Auftritt der prominenten Schauspielerin Ava Gardner ist der knallende Bruch mit seinem bisherigen Leben als Ehemann. Er verfällt der Diva sofort, will sie sogleich heiraten. Der Hinweis, dass er schon verheiratet sei, wird beantwortet: Nicht mehr lange! Dazu spielt die Musik den passenden Song: „The Lady is a Tramp“. Nancy Sinatra wandert im Hintergrund mit ihrem Baby auf dem Arm über die Bühne.
Ava Garner ist die glitzernde Diva, ein Gegenbild zur braven und biederen Ehefrau Nancy. Als Doppelrolle hat es Katja Bischoff nicht einfach, die sehr gegensätzlichen Rollen zu verkörpern. Wer sich mit dem Programmheft nicht näher beschäftigt hat, würde nicht bemerken, dass dieselbe Person zwei Rollen spielt. Respekt! Als Ava kann Katja Bischoff gut zeigen, dass sie trotz ihrer Jugend schon eine ausdruckstarke, kräftige Stimme verfügt, die sie gekonnt einzusetzen weiß.
In einer anderen Szene befindet sich Frank mit Ava im Restaurant, macht ihr den Hof, will sie ehelichen. Ein Fotograf, der Fotos der beiden macht, wird beschimpft und verprügelt. Sinatra als pöbelnder und prügelnder, untreuer Ehemann und Macho. Das Drehbuch spart diesen Sinatra nicht aus, sondern zeigt auch seine dunklen Seiten. Gut so! Das zeigt auch eine Szene mit seinem Agenten, der über Sinatra verzweifelt ist und sich von Sinatra trennt. Medien und Film „revanchieren“ sich und verpassen Sinatra eine ordentliche Abreibung. Sinatra ist „down“. Wie geht die Geschichte weiter?
Scheidung von Nancy und Heirat mit Ava. Dazu ertönt die dunkle Ballade „Angel Eyes“. Die Bläser der Big Band halten sich zurück, es spielt eine kleine Combo mit den Streichern, ein Saxofon setzt behutsame Farbtupfer in die schwermütige Ballade. Frank und Ava haben unterschiedliche Ansichten über ihre Karrieren. Der Dissens gipfelt in einem Streit über Ava Schwangerschaft (austragen oder nicht), wobei Sinatra zugeben muss: „Ich bin ein Macho“. Währenddessen umschmeichelt „Angel Eyes“ erneut das dramatische Geschehen.
Las Vegas
Cut. Hollywood ade, Las Vegas tut (noch) nicht weh. Der Titelsong ertönt. Im Original kommt That's Life mit der swingend röhrenden Hammond-Orgel rüber. Das ist hier nicht zu machen, aber die Band weiß sich zu helfen durch schwirrende Klänge der Geigenfamilie, angereichert durch säuselnde Riffs der Saxofone.
In Las Vegas: „The Rat Pack“ mit Sammy Davis Jr. und Dean Martin, eine amerikanische Show mit allem was dazugehört. Entertainment mit kabarettistischen Einlagen und den bekannten Songs. Auch das Musical kombiniert Musik und Tanz sowie ironische Sketche. Die Darsteller können jetzt Ausbildung und Erfahrung in Sachen Musical zeigen. Das tun sie so, wie es in einem Musical erwartet wird: als unterhaltsame Show mit viel getanzter Choreografie von Amy Share-Kissiov, auch als Step Dance, packenden Songs bei gefälliger Musik. Es ist alles da, was am Genre Musical gefällt.
Chicago
Im nächsten Abschnitt im Leben von Frank heißt das Ziel Chicago und das wird durch den Titel „This is My Kind of Town“ perfekt angekündigt sowie untermalt. In die Chicago-Zeit fallen auch die Kontakte von Sinatra zu den Kennedys und der Mafia. Es geht um Wahlkampfunterstützung, die Sinatra in einer Kampagne für Kennedy geleistet hat. In diesem Kontext soll es auch Kontakte zur Mafia gegeben haben, was Sinatra stets bestritten hat. Das Musical zeigt eine Szene mit einem Telefonat mit dem Mafia-Boss Sam Giancana, lässt aber offen, wieweit es engere Verstrickungen gab. Dann das Attentat auf Kennedy. Die Musik erhält eine traurige Note, obwohl der Song kurioserweise „A Very Good Year“ heißt.
Zurück nach Hollywood zum Film. Frank lernt bei MGM die blutjunge Mia Farrow kennen und alles fängt nochmal von vorne an. Mehr sei hier nicht verraten.
Die Superhits zum Schluss
Der (vorläufige) Höhepunkt des Abends: „My Way“. Musikalisch wie inhaltlich ist der fantastische Titel perfekt positioniert. Rückblickend, bekennend und letzlich auf dem beharrend, was man/frau tat, bietet der Titel ein hohes Potenzial für Identifikation mit dem eigenen Leben: I Did it My Way! Die Musik holt aus. Ein gerader Beat, die Streicher intonieren verhalten, steigern sich zusehends, der Klang wird dichter und dichter. Bariton-Stimme und Bläser erhöhen ungemein die Dramatik der Musik, gipfeln in einem kompakten wie ergreifenden Big Band Sound. Das hat Wirkung.
Das Publikum ist jetzt richtig begeistert. War zuvor freundlicher und anerkennender Applaus zu hören, so steigert sich die Reaktion nun zur Euphorie. Die bleibt auf diesem Niveau als sogleich „Mac the Knife“ angestimmt wird. Eine Hommage an die Dreigroschenoper und deren Premiere in der Metropole Berlin?
Dieses Lied wird dazu verwendet, das Ensemble vorzustellen. Alle Beteiligten kommen einzeln und in größeren oder kleineren Gruppen an den Rand der Bühne. Das Publikum ist ausgiebig klatschend voll dabei, will aber noch was. Na klar. Ohne „New York, New York“ darf keine Sinatra-Veranstaltung zu Ende gehen. Ein freudiges Aufheulen ! geht durch das Theater als der Titel dann kommt. Eine Zugabe, die eigentlich keine ist, sondern sehr geschickt in den Ablauf des Stückes eingeplant wurde. Ein Spätwerk von „The Voice“, das nicht zu toppen ist. Dementsprechend ist das Publikum jetzt aus dem Häuschen. Was ist noch zu sagen? Nur das: Da gibt es nichts zu meckern. Hingehen!
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