Johannes Enders - Endorphin

Johannes Enders - Endorphin

Johannes Enders
Endorphin

Erscheinungstermin: 12.10.2018
Label: Yellowbird, 2018

Johannes Enders - Endorphin - bei JPC kaufenJohannes Enders - Endorphin - bei Amazon kaufen

Johannes Enders - Tenor/ Sopran Saxophon
Jean-Paul Brodbeck - Piano
Phil Donkin - Bass
Howard Curtis - Drums

Den Karriereweg von Johannes Enders zieren Wortspiele; feinsinnige, witzige, hintergründige, tiefschürfende. Wie der CD-Titel „Billy Rubin“ (2011). Ein Ton gewordenes Stück Entschleunigung, das Kraft und Ruhe schenkte, entstanden in einer ganz besonderen Phase seines Lebens, mit einem konservativen akustischen Quartett, das sich in einem dauerhaften Flow befand. Für Enders war es ein Quantensprung, der ihn nach einer Reihe bereits exzellenter Projekte in verschiedenen Kontexten endgültig zum wichtigsten deutschen Tenorsaxofonisten neben Heinz Sauer erhob. Die Geschichte dahinter kennen die wenigsten. Sie begann vor exakt zehn Jahren, als es nicht gut um den hünenhaften Musiker stand. Ein dreiwöchiger Krankenhausaufenthalt und regelmäßige Bluttests konfrontierten ihn mit dem sogenannten Billirubin-Wert, einem Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin, der in jenen Schicksalstagen sein gesamtes Denken und Handeln bestimmen sollte. Der große Schlagzeuger Billy Hart half ihm hier wie auch beim lebhafteren Nachfolger „Mollowtonin“ (2014), wobei dessen mild gedehnte Formel „Me-lo-dy“ gleichwohl als verbales Brandzeichen in den Titel einfloss. Wenn Johannes Enders nun sein neues Werk „Endorphin“ nennt, so spielt er natürlich wieder – diesmal mit seinem Familiennamen. Der Terminus steht aber auch für jenes Hormon, das ausgeschüttet wird, um den Schmerz zu lindern, die Ausdauer zu steigern, Grenzen zu überschreiten, schlicht um zu überleben. Johannes Enders nennt es „die körpereigene Droge“. Das Album ist gleichzeitig das letzte Stück einer ganz persönlichen Trilogie aus Leiden, Sinnsuche und Happyend.

Kann man Endorphin als Glückshormon bezeichnen? Johannes Enders hat viel durchlebt, schwindelerregende Höhen und klaffende Tiefen. „Vielleicht ist es ja die Aufgabe der Musik, Menschen glücklich zu machen“, sinniert er. Wer den inzwischen 51-Jährigen seit fast drei Dekaden begleitet, der ahnt, worum es ihm geht. In der Anfangsphase seiner Karriere wäre Enders bei seinem Streben, ein noch besserer Coltrane zu werden, möglichst schnell möglichst hoch zu kommen, beinahe wie Ikarus verbrannt. Statt in New York oder Berlin lebt er mit seiner Familie immer noch im oberbayerischen Weilheim, das manche Blogger wegen der ebenfalls von dort stammenden gleichnamigen (und befreundeten) ElektroPopband das „Notwist-Städtchen“ nennen. Warum eigentlich nicht das „Enders-Städtchen“? Selbst wenn der 2,02 Meter große Gigant mindestens einen Koffer in New York und Leipzig (wo er ebenfalls als Professor für Jazzsaxofon lehrt) stehen hat, so betont er bei jeder Gelegenheit seine voralpenländische Herkunft. Und der aktuelle Silberling strotzt nur so vor Bezügen zu Endersʼ Wurzeln, Erinnerungen, zu seinen Vorlieben.

„Manchmal gibt es Flashbacks, die einen weit zurückführen, ausgelöst durch bestimmte Orte oder Gerüche. Plötzlich schweifen die Gedanken dann in die Vergangenheit, in eine Zeit, in der vieles leichter und einfacher war. Ich empfinde das als etwas Schönes, denn als junger Mensch kann man Glück noch viel intensiver spüren.“ Ein paar dieser Gefühle holt sich Johannes Enders zurück, indem er im Geiste noch einmal die „Lucky Joe Street No. 4“ entlang marschiert, die Adresse des Elternhauses in Weilheim, die Hans-Glück-Straße 4“. Mit seinem „Memory Ship“ gleitet er dorthin, wo alles seinen Anfang nahm: die Liebe zur Musik, der Jazz, das längst verblasste Karma seiner Traumwelt „Amerikarma“, die Liebe zu Ornette Coleman, dessen Namensilben er – typisch Enders – verdrehte („Colenette“ und „Oreman“, wobei letzteres Stück den Weg auf die CD fand) sowie die Jugendfantasien über den tollkühnen EnterpriseKommandeur James T. Kirk und den aberwitzigen, blinden Multibläser Rashaan Roland Kirk, die er einfach in einem Songtitel aneinanderbindet („Captian Roland Kirk“). Außerdem baut er seinen Kindern „Franz & Paula“ ein klingendes Denkmal.

Johannes Enders erlaubt mit „Endorphin“ erstaunliche Einblicke in sein Innerstes. Die acht Titel entwickeln ein faszinierendes kaleidoskopisches Prisma privater Glücksmomente, die aus dem Augenblick heraus entstehen, aus dem Zusammenspiel der Musiker und ihrem Urvertrauen zueinander. Mit dem Pianisten Jean-Paul Brodbeck, dem Bassisten Phil Donkin und dem Drummer Howard Curtis begleiten ihn Gefährten auf seinem Gedankenflug, hinter dem kein Konzept, kein Vorsatz, sondern nur das Glück des Augenblicks steht. Dazu gehört auch sein unverwechselbarer Ton, der sich längst von allen übermächtigen Vorbildern gelöst hat und inzwischen selbst wie ein erstrebenswertes Original klingt.

Die Vergangenheit hilft einem, die Gegenwart besser zu verstehen. Denn Musik ist ein Produkt des Augenblickes. „Man muss nach vorne schauen“, sagt Johannes Enders mit einem Lächeln. „Wenn man zu lange auf einem Fleck verharrt, und sich selbst bemitleidet, dann lähmt einen das“. Keiner weiß das besser als er.

  1. Oreman
  2. Endorphin
  3. Passaggio silenzioso
  4. Amerikarma
  5. Lucky Joe Street No.4
  6. Memory ship
  7. Franz & Paula
  8. Captain Roland Kirk

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 6 plus 5.