Nicole Johänntgen – saxophone, composition
Jon Ramm – trombone
Steven Glenn – sousaphone
Paul Thibodeaux – drums
Die Saxophonistin Nicole Johänntgen hat das neue Album bei einem Live-Konzert im Domicil Pforzheim analog auf Tonband aufgenommen. Ganz in alter Manier. Nostalgie kommt auf. Man spürt, wie vertraut und spielfreudig die vier Musiker sind.
Henry hat sich zur Dynastie entwickelt; der aktuelle Inhaber trägt den Titel Henry III. Sein Reich ist das älteste seines Genres: Jazz à la New Orleans. Der Enkel ist unüberhörbar ein Kind seiner musikalischen Vorfahren, insbesondere der Gründerin der Dynastie Henry: Her Ladyship Nicole I.
Kurze Historie
Dunkel schallen die Frequenzen von Sousaphon (eine Art tragbarer Tuba) und Posaune mit erdiger Wärme. Die Töne speisen sich aus der Tiefe und legen jene Kraft in der Musik, an der sich die anderen Instrumente zu messen haben, die nicht an den Sound voller Wumms heranreichen. Denn die tieflagigen Instrumente definieren den traditionellen zwei-taktigen New Orleans notwendig. Die unverzichtbare Snare- und die Bass-Drum definieren dann hinreichend. Das bedurfte früher auch zwei Männer fürs Trommeln. Eben weil der New Orleans-Stil sich als Street- oder Marching Band „konstituierte“. Also gehen, auch marschieren – eins, zwei, eins, zwei - und dabei Cool oder Hot spielen. Heute – im Sinne einer rationalisierten Spielweise - muss Paul Thibodeaux allein sein Snare Drum bemühen.
Hier & Jetzt
Das Saxophon war ursprünglich gar nicht dabei. Demzufolge haben wir hier einen echten Bruch mit der Tradition, wenn Nicole Johänntgen ihr Altsaxophon in den Dienst des New Orleans-Stils stellt. Das Alt ist dann für die luftigen Sequenzen, die melodischen Ausprägungen zuständig, es erfrischt den Sound mit hohen wie hellen Klangfarben inklusive der weiblichen Emanzipation des Genres. Wie kann der Louisiana-Sound - nach seiner über 100-jährigen Geschichte – aktualisiert klingen? Und wie tönt dieser Jazz im „kleinen“ Quartett? Eines sei vorweggenommen. Die Musik von Henry III macht so richtig gute Laune.
Die Titel im Detail.
Schreiten à la New Orleans
Life
Sanft wummert der Bass, verhalten schlagen die Drums, das Thema den anderen überlassend. Jetzt begegnen sich im Wechselspiel die Posaune mit dem Alt, permanent sich die Bälle zuwerfend: Blas´ Du einen Ton. Ja, mach ich, aber jetzt Du. Und so geht das fort... erst bedächtig, dann zunehmend bewegter. Ein wenig schwermütig klingt das Life-Thema schon.
Too Loose
Drums und Sousa legen leise los. Stakkatohafter Beat wie Melodie machen den Anfang mit einen Anflug von November-Blues. Das harmonische Geschehen gestaltet sich im Dialog zwischen Posaune und Saxophon, die nach dem Ruf- und Antwort-Prinzip agieren. Die eine legt mal vor, der andere zieht nach, dann alles im Umkehrschluss. Bass und Drums spielen unbeirrbar ihren Part, lassen sich durch nichts von ihrem Rhythmus abhalten. Zum Schluss einigen sich die Bläser auf unisono gespielten Harmonien.
Funky & Fun
Discoland
Das geht schon tanzend los. Ein geblasener Hauch Disko-Fox - eins, zwei, Tap - plus einem kräftigen Luftzug Funky-Louisiana wehen da rüber. Die Posaune zeigt, wo es lang geht. Jetzt kommt das Alt noch dazu und beide zusammen improvisieren sie im Kollektiv – gelegentlich im Kollekt-tief, dann im -hoch. Die Drums ersetzen einen ganzen Spielmannszug. Früher hieß das hierzulande - als es noch Blaskapellen gab – Spielmannszug. Spielfrauenzüge waren so gut wie nicht vorhanden – das hat sich geändert, ebenso die aktuellen Namen dafür.
Zydeco
Das Snare Drum klappert los, der Bass setzt nach, beide immer vorneweg, die Bläser zum Mitmachen animieren. Die lassen sich nicht lange bitten und legen einen schönen Bläser-Satz auf: ein akzentuiertes Motiv, ein kurz angeblasenes rhythmisches Riff. Da ist eingängiges Soul in den Schleifen der Bläser, plus eine Prise Funk. Dann sind ergreifende Soli von Bass und Drums zu hören, die länger dauern. Nach dem Wiederholen des melodischen Motivs ist dann Schluss.
Balladen
Sweet and Honest
Balladenhafte Tönen zum Auftakt. Allein, nur die Linien des Altsaxophons sind zu hören. Das Sax führt ins Thema ein, die Band kommt hinzu. Bass und Posaune liefern die Ostinato-Figur für das stimmführende Alt. Dann muss das Sousaphon allein den Takt angeben, die Posaune wechselt ins Lager der Improvisation …. Weil das so gut klappt, gibt es erneut ein Bälle-Zuwerfen von Posaunen-Blech und Holz. Jetzt ist das Sousaphon solistisch zu hören: das ist Bass-Sound, der alles mitreißt, der alle packt, der wie eine eigene musikalische Galaxie donnert. Mit dieser Tiefe und Schwere kann ein Kontrabass nicht mithalten. Deshalb ist auch keiner dabei.
Guetnachtlied
Balladen oder eben Lieder zur guten Nacht, auch als Schlaf– oder Wiegenlieder bekannt und begehrt. Ja, das mit dem Einschlafen wird vermutlich nicht so klappen, denn man will ja die Musik weiterhören. Und dann ist frau doch eingeschlafen.
Swingende Zwei-Takter
Biological
Das swingt nett los: gute Laune, gute Stimmung. Der Takt wird bald zu einem Swingen in der Spielart eines Funky Beats. Wieder bläst Bass Steven Glenn sich die Figuren aus Leib und Seele – Schwerstarbeit. Wenn es eine Arbeiterklasse im Jazz geben sollte, dann die: Tubisten und Sousaphonisten. Ohne deren Atem von Hot und Cool läuft nichts. Die Musik steht still..., wenn dein kräftiger Atem das will. Jetzt tönt der Sound nach Hexen-Sabbat – biologisch und nachhaltig? Vielleicht, aber ganz sicher jazzig, 100 % aktueller New Orleans.
Fahrtwind
Der bläst in der Regel von vorne, hier bläst er - die Musik vor sich her treibend - von hinten. Ein klassischer Genre-Rhythmus, die Bläser fallen ein, das Thema blitz auf, dann darf die Posaune von Jon Ramm Fanfaren in die Luft schmettern. Wieder ist ein neckisches Reihum-Spiel angesagt. Eins, zwei Takte und schon ist der nächste dran, kann die nächste übernehmen. Das ist jetzt Nicole Johänntgen, die in bester Sax-Manier - knappes, stakkatohaftes, meckerndes Blasen - sich den Weg durchs Thema bahnt, ihren Ideen Luft verschafft. Das Spiel animiert die ganze Band zu einem entfesselten Rausch von wilden Kollektiv-Improvisationen. Ein Drum-Solo überbrückt bis erneut das Thema angespielt, der Fahrtwind sich verliert.
Dig Deep
Gemächlich spielen, mit Bedacht schreiten, nur nicht erschrecken, denn diese Ballade ist gefüllt mit verstörender Schwermut. Trotzdem oder gerade deswegen tönt es schön traurig– traurig schön. Ein klassischer Song für jedes Funeral – zumindest für den Hinweg. Für den Rückweg sind dann die anderen Titel geeigneter. Big Deep - That´s Tradition, That´s Modern Sound of Henry III. Zur Belohnung gibt´s dann noch einen mehrstimmigen Gesang – das ist dann fast zu viel des Guten.
- Life
- Too Loose
- Discoland
- Sweet And Honest
- Biological
- Zydeco
- Dig Deep
- Fahrtwind
- Guetnachtlied
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