Thomas Enhco im Gespräch mit Cosmo Scharmer von jazz-fun.de

Übersicht der Themen:
- Klassischer Bach
- Jazz
- Bach und Jazz – Jazz und Bach
- Aktuelle Album Bach Mirror
- Die Marimba
- Vassilena Serafimova
- Die Musik von Bach Mirror
- Kongeniales Spielen
- Der Zauber des Spiegels
Klassischer Bach
jazz-fun.de
Bach zu spielen ist für jeden klassischen Pianisten mehr als selbstverständlich.
Wie war Ihr Weg zu Bach?
Thomas Encho
Ich habe schon immer Bach gespielt, als Kind zuerst mit den zweistimmigen Inventionen, später dann mit Präludien, Fugen, Goldberg-Variationen, Suiten, Partiten, Konzerten... Es war immer mein Wundermittel gegen Zweifel. Mit Bach kann man nichts falsch machen: Es fühlt sich immer gut an, und er führt und zieht uns ständig hoch.
Jazz
jazz-fun.de
Wann und wie kamen Sie zum Jazz? Gab es Jazz-Klassiker, die Sie besonders fasziniert haben? Welcher Musiker des Jazz hat Sie beeindruckt oder gar geprägt?
Thomas Encho
Im Alter von sechs Jahren, zur gleichen Zeit als ich mit dem Klavier begann. Es war Didier Lockwood, mein Stiefvater, der mich in diese Richtung gelenkt hat. Meine wichtigsten Einflüsse im Jazz sind (in keiner bestimmten Reihenfolge): Keith Jarrett, Miles Davis, John Coltrane, Herbie Hancock, Chick Corea, Brad Mehldau, Didier Lockwood, Benoît Sourisse, Oscar Peterson, Erroll Garner, Duke Ellington, Brad Mehldau, Kurt Rosenwinkel, Ella Fitzgerald, Charlie Parker, Jaco Pastorius, Wayne Shorter...
Bach und Jazz – Jazz und Bach
jazz-fun.de
Auch Jazz-Pianisten ist die Bachsche Musik bestens vertraut. Viele Jazzmusiker haben seine Themen gespielt und sie höchst individuell wiedergegeben. Pioniere waren u.a. Jacques Loussiers, das Modern Jazz Quartett. Schon Django Reinhard spielte Bach als Jazz.
Wo sehen Sie sich in dieser Tradition? Gibt es eine besondere Tradition einer Jazz-Rezeption von Bach in Frankreich?
Thomas Encho
Ich weiß nicht... Ich möchte nur nicht, dass ich die Musik von Bach durch meine Überarbeitung "hässlich" mache. Wenn man ein klassisches Meisterwerk durch die Beimischung von Jazzelementen modifiziert, ist die Grenze zum schlechten Geschmack sehr dünn und man muss immer ein Auge darauf haben, sie nicht zu überschreiten. Dies erfordert vor allem eine sehr gründliche Kenntnis des Werks, das man umschreibt, einen großen Respekt vor dem Originaltext und ein scharfes Bewusstsein für das, was man tut: was ist die Essenz des Werks, was ist mein persönlicher Beitrag? Ergibt sich eine andere, interessante, schöne, spannende Lektüre? Wenn ich mir nicht zu 100% sicher bin, dass sich das Ergebnis lohnt, gebe ich auf, auch wenn ich viel Arbeit schon investiert habe. Das passiert mir regelmäßig!
Klassische Klischees mit Jazz-Klischees zusammenzubringen, verabscheue ich zutiefst, und ich versuche, dies um jeden Preis zu vermeiden. Vassilena und ich sind uns da völlig einig.
Aktuelles Album Bach Mirror
jazz-fun.de
Was war für Sie - als einen Klassik wie Jazz gleichermaßen spielenden Pianisten - ausschlaggebend, Bachs Musik in einer sehr individuellen Interpretation zu präsentieren?
Thomas Encho
Ich habe mich schon oft daran versucht, alleine in meiner Ecke, manchmal als Konzert (Soloklavier), aber nie richtig konsequent. Eines Tages, vor vier Jahren, wurden Vassilena und ich von der Philharmonie de Paris eingeladen, ein Konzert unseres Duos rund um Bach zu geben. Es war deren Idee; sie wussten nicht, was wir damit machen würden. Wir waren sofort begeistert und haben monatelang an diesem Programm gearbeitet (das im März 2018 aufgeführt wurde). Das Thema hat uns nicht losgelassen; ich habe meinerseits ein Konzert der gleichen Art gegeben, aber als Soloklavier. Dann sind die Ideen aufgeblüht, und wir haben beschlossen, viel tiefer in dieses Thema einzusteigen, um daraus ein Album zu entwickeln und ein sehr gründliches Projekt auszuarbeiten.
Die Marimba
jazz-fun.de
Das Instrument gehört sowohl in der Klassik als auch im Jazz nicht zu den „populären“ Instrumenten. Wie auch das Xylofon, das seinen Weg in den Jazz gefunden hat, hat die Marimba die Eigenschaft, sowohl als Rhythmus- und auch als Melodie-Instrument verwendet zu werden.
War es diese rhythmische Komponente oder mehr die Klangfarbe der Marimba, die Sie bewegte, die Marimba zur Verstärkung und Ergänzung des Pianos zu verwenden?
Thomas Encho
Ehrlich gesagt kannte ich die Marimba überhaupt nicht, bevor wir uns trafen. Tatsächlich wurde unser erstes Konzert von einer dritten Person geplant, und ich habe nicht wirklich an den Erfolg geglaubt. Aber als ich Vassilena getroffen und wir zum ersten Mal gemeinsam geprobt haben, habe ich verstanden, dass sie eine unglaubliche Musikerin ist und dass ich durch unser gemeinsames Spielen ein großes Abenteuer erleben würde. Sie hätte auch Akkordeon, Musiksäge oder Maultrommel spielen können, was auch immer!
Aber ernsthaft, es ist wahr, dass diese Verbindung von Instrumenten wunderbar funktioniert, denn beide sind polyphon, melodisch, rhythmisch und mit einer riesigen Bandbreite versehen, die unzählige kombinatorische Möglichkeiten und Rollen ergibt. Die einzige Grenze ist unsere Vorstellungskraft (und, wieder einmal, der Geschmack). Es ist aber auch sehr schwierig umzusetzen, da der rhythmische und präzise Aspekt dieser beiden Instrumente eine gemeinsame rhythmische Festigkeit und Atmung erfordert, um perfekt zusammen zu spielen. Wenn das nicht der Fall ist, kann es auch ein wenig lächerlich klingen. Und auch die Zusammenführung von Klangfarben, Dynamik und Registern ist ein bisschen akrobatisch: Die Balance zu finden, die das eine Instrument verstärkt, ohne das andere zu überdecken, ist schwierig (aber spannend).
Für mich ist es ein bisschen wie ein Klavier/Gitarre-, Klavier/Orgel- oder sogar Klavier/Klavier-Duett (Jazz) zu spielen. Anspruchsvoll, aber spannend. Ich liebe es!
Vassilena Serafimova

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Wie fanden Sie zu Ihrer Mitgestalterin Vassilena Serafimova? Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Thomas Encho
Meine klassische Klavierlehrerin seit meinem 14. Lebensjahr, Gisèle Magnan, hatte die Idee, uns für ihre Saison der Concerts de Poche (ein großartiger Verein) einzuplanen. Sie war überzeugt, dass unser Zusammentreffen sensationell sein würde, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was wir zusammen spielen könnten! Unser erstes Konzert war im Mai 2009 und musikalisch haben wir uns seitdem nie wieder getrennt.
jazz-fun.de
Sie haben mit Vassilena Serafimova schon eine erste Aufnahme Funambules eingespielt. Was sind die Gemeinsamkeiten, was die wichtigsten Unterschiede zwischen beiden Alben, vom Komponisten abgesehen?
Thomas Encho
Funambules war ein 'Best-of' unserer Konzertprogramme: die vollständige Transkription von Mozarts Sonate für zwei Klaviere, Arrangements über Themen von Bach, Saint-Saëns, Fauré, aber auch über die Popgruppe The Verve, Kompositionen von mir und Vassilena, eine zeitgenössische Kreation des amerikanischen Komponisten Patrick Zimmerli, eine Kreation über ein uraltes bulgarisches traditionelles Lied (bei der wir beide auf Bulgarisch singen!) ... Da waren schon alle Zutaten, die wir auch jetzt gemeinsam verwendet haben, vorhanden: originalgetreue Transkriptionen, Arrangements, Neukompositionen aus erkennbaren Elementen eines bestehenden Werkes, völlig neue Kompositionen sowie geschriebene Musik, improvisierte Musik, stimmungsvolle Balladen, wilde Rhythmen, strenge Klassik, Balkan-Groove, präparierte Instrumente...
In Bach Mirror sind wir, glaube ich, in der Tiefe und Ausgewogenheit all dieser Aspekte noch weitergegangen. Alles dreht sich um Johann Sebastian Bach und seine Musik, die an sich schon unendlich viele Schätze und Facetten enthält. Es ist ein Album, das noch reifer und vollendeter ist als das 'Projekt' war.
Die Musik von Bach Mirror
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Beim Hören des Albums springt sofort die ungemein swingende Spielweise ins Ohr. Der Swing ist schon in der originalen Musik von Bach vorhanden, hier jedoch wird der Rhythmus noch stärker herausgearbeitet. Das führt dazu, dass die Musik noch mehr swingt, rhythmisch intensiver wirkt.
Entsteht diese Spielweise natürlich, also fast zwangsläufig, wenn Bach jazzig interpretiert werden soll? Oder verbirgt sich dahinter eine lange und intensive Auseinandersetzung mit dem Werk? Oder einfach nur Inspiration?
Thomas Encho
Lassen Sie mich eine kleine Korrektur vornehmen: Es gibt keinen Swing in diesem Album, denn Swing ist eine sehr spezifische Spielweise des Jazz, die ich hier nicht verwende. Andererseits gibt es Groove, und zwar eine Menge davon! Man könnte sagen, dass Swing eine Art von Groove ist. Wir spielen auf diesem Album viele 5, 7, 9 Beat-Grooves, ungerade Takte, die uns vielleicht an Vassilenas Land, Bulgarien, erinnern, wo diese Rhythmen sehr verbreitet sind.
Ich persönlich mag es nicht, wenn klassische Musik, insbesondere Bach, "jazzig" oder "in einer Swing-Version" gespielt wird. Wir machen hier etwas ganz Anderes: wir haben Bach nicht "mit Jazz verkleidet", wir haben Bach als Rohmaterial benutzt, um etwas Neues aufzubauen, um die Musik irgendwo anders hinzubringen. Vielleicht teilweise in das Jazz-Universum zu entführen, aber nicht nur dorthin.
Kongeniales Spielen
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Die jeweiligen Komponenten der Musik - Harmonie, Melodie, Rhythmus - sind sehr ausgewogen zwischen Ihnen beiden aufgeteilt. Das betrifft auch die Stimmführung und ebenfalls die Improvisationen. Was ist erforderlich, um zu einem kongenialen Spielen zwischen ihnen beiden zu gelangen, wie es auf dem Album zu hören ist?
Thomas Encho
Ich mag diesen Begriff für die Komponenten der Musik sehr. Wenn man es mit der Malerei vergleichen würde, wäre die Melodie die Zeichnung, die Harmonie wäre die Farbe und der Rhythmus das Relief. Das sind Dinge, über die wir gemeinsam ständig nachdenken: wir sind beide sehr sensibel dafür und wenn wir zusammenarbeiten, verbringen wir Stunden damit, "die Erbsen zu zählen“ um die perfekte Balance zu finden. Es ist eine extrem detaillierte Arbeit, aber nach einer Weile denken wir überhaupt nicht mehr darüber nach - wir machen einfach nur Musik zusammen, wir atmen, wir singen und tanzen zusammen, und alles erscheint natürlich und selbstverständlich.
Der Zauber des Spiegels
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Der Titel Bach Mirror verrät etwas über die Absicht, die Art und Weise, der Werkinterpretation. Es wäre sehr interessant, hier mehr zu erfahren. Was bedeutet ein Spiegeln von Bachs Musik?
Thomas Encho
Die Idee des Spiegels kam uns wegen seiner primären Bedeutung (etwas, das reflektiert, mehr oder weniger verzerrt - das ist es, was wir in diesem Projekt tun, den Grad der Verzerrung nach Belieben einstellen) und seiner symbolischen Opposition (Gegenwart/Vergangenheit, heilig/profan, improvisiert/geschrieben, Vorwegnahme/Erinnerung, Realität/Traum).
Außerdem hat Bach selbst seine eigene Musik, die seiner Zeitgenossen und Vorgänger transkribiert, arrangiert, entlehnt und ständig umgestaltet; der Spiegel ist in seiner eigenen Musik bereits sehr präsent!
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Der Titel Sur la route (on the Name of Bach) ist eine Eigenkomposition, die sich an Bach ausrichtet. Wo liegen die Unterschiede?
Thomas Encho
Die vier Buchstaben im Namen Bach - B-A-C-H - entsprechen vier musikalischen Noten in angelsächsischer Notation: Si bémol, La, Do, Si bécarre. Sie bilden also ein melodisches Motiv, das schon Bach von Zeit zu Zeit in seinen Stücken platzierte, als Signatur, als Augenzwinkern. Folglich haben ihm viele Komponisten Tribut gezollt, indem sie dieses "musikalische Symbol" in ihren Werken verwendet haben. So habe ich Sur la Route geschrieben, indem ich dieses Motiv überall einfügte: in der Melodie, in der Basslinie, in den Harmonien. Das ist der einzige Bezug dieses Stückes zu Bach, musikalisch ist es eine eher jazzige Komposition auf einem 9/8-Rhythmus. Ich hatte es ursprünglich auf Anfrage der klassischen Pianistin Lise de la Salle geschrieben, für ihr Album Bach Unlimited.
jazz-fun.de
Unter den gegebenen Bedingungen der Pandemie ist es so gut wie unmöglich zu planen. Trotzdem. Gibt es Überlegungen, Ihre Musik zukünftig live im Konzert in Deutschland zu präsentieren?
Thomas Encho
In der Tat ist es sehr traurig und frustrierend, keine Konzerte geben zu können. Bach Mirror sollte eigentlich im letzten Herbst veröffentlicht werden; wir haben die Veröffentlichung um sechs Monate verschoben, in der Hoffnung, dass wir im Frühjahr wieder spielen können. Leider ist das immer noch nicht der Fall, aber wir haben uns entschlossen das Album trotzdem zu veröffentlichen, damit die Musik weiterlebt, auch ohne uns!
Letzte Woche haben wir ein einzigartiges Live-Konzert auf der Livestream-Plattform RecitHall gespielt. Mehr als 500 Leute hatten Tickets gekauft und haben uns aus der ganzen Welt zugeschaut, schrieben Kommentare und stellten Fragen. Wir waren sehr bewegt, es war eine wunderbare "virtuelle Gemeinschaft".
Trotzdem vermissen wir die echten Konzerte und das Publikum schrecklich: wir brennen darauf, dieses neue Programm auf der Bühne zu spielen. Vor allem in Deutschland, wo wir bis jetzt nur außergewöhnliche Erinnerungen sammeln konnten, besonders in Heidelberg und auf dem Schloss Elmau. Ich hoffe sehr, dass wir nach Berlin, München, Hamburg, Bremen, Köln, Frankfurt und Stuttgart eingeladen werden... und natürlich nach Eisenach und Leipzig!
jazz-fun.de
Thomas Enhco, vielen Dank für das sehr informative wie unterhaltsame Interview.
Thomas Encho
Bitte, gern geschehen.
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