Vincent Peirani - Thrill Box

Vincent Peirani - Thrill Box

Vincent Peirani
Thrill Box

Erscheinungstermin: 26.04.2013
Label: ACT, 2013

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Vincent Peirani - akkordeon & accordina (4), stimme (3 & 7)
Michael Wollny - piano & Fender Rhodes (6)
Michel Benita - bass
Guests:
Michel Portal - bass klarinette (5) & bandoneon (7)
Emile Parisien - sopran sax (6 & 11)

Ulf Wakenius war skeptisch. Youn Sun Nah, der helle neue Stern am Gesangshimmel, hatte ihm vorgeschlagen, ihr bewährtes Duo für einen Auftritt doch einmal mit einem jungen französischen Akkordeonisten zu erweitern. Das müsse angesichts des Farbenreichtums und der Dynamik des Programms schon ein Richard Galliano sein, erwiderte er, ließ sich aber zu einem Versuch überreden. Der Rest ist Geschichte: Vincent Peirani begeisterte beim Konzert derart, dass der Gitarrist ihn flugs zum Begleiter seines Albums „Vagabond“ beförderte. Ehrensache, dass Peirani anschließend auch beim jüngsten Album von Youn Sun Nah, „Lento“, mit von der Partie war.

Somit in die ACT-Familie aufgenommen, folgt nun der logische nächste Schritt: Vincent Peiranis ACT-Debüt „Thrill Box“. Zugegeben, der Titel kann einen zunächst in die Irre führen, man könnte ein knalliges, funkiges, oberflächlich virtuoses Album erwarten. Doch es ist eine ganz versammelte, nach innen gerichtete, lyrische CD. Peirani meint mit „Thrill Box“ ganz offensichtlich sein Instrument, das, so einmalig, wie er es zu spielen versteht, zur Wundertüte wird: Mal lässt er es wie eine Orgel klingen, mal wie ein Klavier, mal wie ein Blasinstrument, mal wie eine menschliche Stimme. Reiner Kontrapunkt oder radikal reduzierte Töne wechseln ab mit rasanten Läufen, mehrstimmigen Elegien oder auch rein perkussiven Passagen. Dazu kommt noch, dass er beim Spielen gerne unisono mitsingt - mit einer erstklassigen Gesangsstimme, wie ihm Youn Sun Nah attestiert.

Fast möchte man sagen, dass Peirani das Akkordeon so überhaupt erst in die Jazz-Sphären erhebt, in denen es bislang höchst selten zu finden war. Das angestammte Revier des Akkordeons ist ja im Volksmusikalisch-Klassischen verortet. Nur wenige Ausnahmekönner wie der Österreicher Klaus Paier und vor allem Repräsentanten der französischen Schule wie Jean-Louis Matinier oder eben Richard Galliano haben den Grenzübertritt geschafft. Und doch wäre es zu kurz gegriffen, Peirani in diese Traditionslinie zu stellen. Er reiht sich vielmehr ein in die wachsende Zahl herausragender junger Talente, die keine „Jazzer“, „Klassiker“ oder „Rocker“ mehr sind, sondern universelle Musiker, die das Ganze, immer noch lange nicht ausgeschöpfte Spektrum klanglicher Ausdrucksmöglichkeiten angehen und nutzen.

Peirani begann klassisch, und auch wenn man den abgedroschenen Begriff Wunderkind nicht in den Mund nehmen sollte, hat seine Laufbahn etwas davon: Bereits mit 12 kam er in den Fächern Akkordeon und Klarinette ans Conservatoire National de Région seiner Heimatstadt Nizza, zwischen 1994 und 1998 gewann er die wichtigsten internationalen Akkordeon- Wettbewerbe in Serie, von Klingenthal und Reinach über Castelfidardo und Cassino bis zum Ersten Preis des Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris.

Er blieb in Paris, lernte am Nationalkonservatorium Musiker wie Daniel Humair kennen und entdeckte so die Vielfalt der Möglichkeiten: Neue Musik, Chanson und - Jazz. Schon 2003 gewann er den La Defense Jazz Competition, und war danach ein gefragter Mann für aufgeschlossene Musiker, von Veteranen der Avantgarde wie Michel Portal oder Louis Sclavis bis hin zu Grenzgängern wie Renaud Garcia Fons. Zu den eigenen Projekten gehörten das Rock-Quintett „Living Being“ und „Sejalan“ gemeinsam mit der französisch-indonesischen Sängerin Serena Fisseau.

All diese vielfältigen Erfahrungen spiegeln sich nun in „Thrill Box“, nicht nur in der Spielweise, sondern auch im Repertoire. Neben eigenen Kompositionen, mal geheimnisvoll flirrend („Hypnotic“), dann als rhythmisch verspielte Musette-Variation „3 Temps Pour Michel’P“ (für Michel Portal) bis zur herzergreifenden, von Indonesien inspirierte Ballade „Air Song“, geht es in völlig unterschiedliche Gefilde: Zu amerikanischen Traditionals wie „Goodnight Irene“ und "Shenandoah", zu dem beboppig dekonstruierten Monk-Klassiker „I Mean You“; zu einem schwer bluesigen „Waltz For JB“ von Brad Mehldau; zu einer kunstvoll verrätselten, südamerikanisch klingenden Version von Abbey Lincolns „Throw It Away“; oder zu einem wilden Balkan-Ritt („Balkanski Cocek“). Eingerahmt ist all dies von zwei bemerkenswerten Soli: mit Joseph Canteloubes „Bailero“ als Entree und mit Peiranis eigenem „Choral“ als geradezu kirchenmusikalischem Aus- und Nachklang.

Abgesehen vom solistischen Pro- und Epilog und jeweils einem Gastauftritt des Sopransaxophonisten Emil Parisien und des alten Freundes Michel Portal ist „Thrill Box“ aber ein Trio-Album, bei dem die Fans des Genres mit der Zunge schnalzen können. Denn mit an Bord sind zwei ausgewiesene Größen des Fachs: Michel Benita, wohlbekannt als feinsinniger Bass-Experimentator des E_L_B-Trios mit Peter Erskine und Nguyên Lê. Und Michael Wollny, der seine Karriere bekanntlich mit dem Trio [em] startete. Den deutschen Pianisten lernte Peirani im vergangenen Frühling bei der ACT Jubilee Night im Pariser Jazzclub „New Morning“ sozusagen auf der Bühne kennen. Mit einem ergreifenden Duo als Ergebnis, bei dem man sich auf Anhieb blind verstand. So brauchte Wollny nicht lange zu überlegen, als ihn Peirani zu „Thrill Box“ einlud. Und wieder einmal darf man staunend Wollnys unglaubliche Fähigkeit miterleben, in jedem Moment das Richtige zu machen, Chamäleon-gleich auf die Ideen seiner Begleiter einzugehen und sie weiterzuentwickeln.

Nach dem, was Vincent Peirani mit dieser „Thrill Box“ gelungen ist, dürfte ihm in Zukunft alles Mögliche entgegenschlagen, nur keine Skepsis mehr.

  1. Baïlero
  2. Waltz for JB
  3. Hypnotic
  4. Goodnight Irene
  5. B&H
  6. Air song
  7. 3 temps pour Michel'P
  8. Shenandoah
  9. I mean you
  10. Throw it away
  11. Balkanski Cocek
  12. Choral

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