Eva Klesse Quartett - Songs Against Loneliness

Eva Klesse Quartett
Songs Against Loneliness
Erscheinungstermin: 21.10.2022
Label: Enja Records, 2022
Evgeny Ring - Saxophone
Philip Frischkorn - Piano
Marc Muellbauer - Kontrabass
Eva Klesse - Drums
featured guest: Wolfgang Muthspiel - Gitarre
Die Geschichte des Eva Klesse Quartetts beginnt am 8. Januar 2013, mit einem kleinen Sessioneröffnungskonzert in Leipzig. Fast zehn Jahre, vier Alben, hunderte Konzerte, tausende von Tourkilometern einmal um die halbe Welt und zahlreiche Auszeichnungen (Echo Jazz, SWR Jazzpreis u.a.) später bringt die Band nun ihr fünftes (Jubiläums-) Album heraus: songs against loneliness. In 13 neuen Stücken beweist das Quartett um Evgeny Ring, Philip Frischkorn, Eva Klesse und – 2021 neu dazugekommen - Marc Muellbauer abermals seine Gabe, musikalisch Geschichten zu erzählen, die sich - nicht nur, aber auch - mit den Gegebenheiten und Emotionen der pandemischen letzten zwei Jahre befassen, mit Sehnsucht, Hoffnung, Melancholie, aber auch mit Heilung, Resilienz und Stärke.
Dem Quartett ist nach 10 Jahren musikalischer und freundschaftlicher Verbundenheit auf songs against loneliness eine besondere künstlerische Reife anzuhören. Es wird deutlich: diese Vier sind bestens aufeinander eingespielt. Das Ensemble hat schon früh erkannt, dass es seine kollektive Stärke daraus zieht, sich gegenseitig Raum zu geben für unterschiedliche Spielhaltungen und individuelle Gestaltung. Sich zuzuhören und mit feinem Gespür gegenseitig zu bestärken und herauszufordern, macht die große Qualität dieser Band aus. Die Musik des neuen Albums hat immer eine klare Struktur und Form, in der sich die Musiker*innen ganz traumwandlerisch bewegen. Mit besonderer Schärfe und noch fokussierter als bisher beweist das Quartett damit abermals seine ästhetische Herangehensweise: die Übersetzung von Geschichten, Bildern und Gefühlen in Lieder ohne Worte. Und diese Übersetzung ist mit songs against loneliness besonders gelungen. Tatsächlich lässt vieles an diesem Album an Gedichte denken. Jeder Ton, jede Geste, jeder Beat und Schlag, ist wie Satzzeichen und Zeilenumbrüche bewusst gesetzt. Geblieben ist dabei die interaktive Spielfreude und die in Live-Konzerten so gut zu beobachtende intensive und mit Freude gelebte Interaktion der vier Musiker*innen.
Die letzten zwei Jahre haben in der Musik der Band hörbar ihre Spuren hinterlassen. Das Nachdenkliche, Innerliche, Konzentrierte ist der Boden, auf dem sich unterschiedliche Facetten entfalten können. Gut zu hören ist das beispielsweise in Evgeny Rings Komposition "Achille Island". Hier entwickelt sich - einem Fluss gleich, der von der Quelle zum Delta immer reißender wird - eine musikalische Welt, deren Sog man sich nicht entziehen kann. Ring inszeniert diese Ausweglosigkeit durchdacht und stringent.
"Past, tense" steht exemplarisch für die große Bandbreite, die das Album bereithält. Marc Muellbauer ist kongenialer Partner im gleichberechtigt offenen Kosmos des Quartetts. Muellbauer, der seit langem u.a. mit dem Julia Hülsmann Trio auf Tour ist, braucht auf seinem Instrument nichts mehr zu beweisen. Auf zahlreichen Alben ist er sowohl als kreativer Solist als auch als sensibler Begleiter zu hören und bringt sich auch in diesem Quartett direkt mit seiner ganz eigenen musikalischen Sprache ein. "Past, tense" ist eine offene Komposition. Die Musik ist dunkel und bedrohlich. Ein Soundtrack zur Gegenwart. Wie Muellbauer selber sagt: "steckt im englischen past tense, der Vergangenheitsform, auch das "tense", die Anspannung." Die Musik bringt diese Spannung, das Unentschiedene und Offene auf den Punkt.
Neben den dunklen Farben gibt es in den songs against loneliness aber auch hoffnungsvolle Töne. "intermezzo for people floating in fear" aus der Feder des Pianisten Philip Frischkorn zeigt nicht nur in seinem Titel einen zarten Ausweg aus dem Um-sichselbst-Kreisen - einem pandemischen Dauerzustand. Die Melodie wandert durch die Register, verdoppelt sich und in den anschließenden Soli entfaltet sich ein zärtlicher Dialog. Sind nicht Freund*innen, die zuhören, trösten, zum Lachen bringen, umarmen und bestärken die besten Heilmittel gegen Hoffnungslosigkeit?
Den Blick über den Tellerrand und den Ausbruch aus dem um-sich-selbst-Kreisen wagt auch "anthem (for the anthemless)" - entstanden aus dem Gefühl der Hilflosigkeit heraus gegenüber den Schicksalen so vieler tausender Geflüchteter und gedacht als Hymne für all diejenigen, deren Stimmen zu oft nicht gehört werden.
"hearts on hold" - einer Komposition von Eva Klesse - hört man von Beginn die emotionale Dringlichkeit an, die die Einsamkeit mit sich bringt. Klesse: „das ist wohl ein Gefühl, mit dem sich die meisten Menschen vor allem in den letzten zwei Jahren verbinden können: der Wunsch, seinen Nächsten nah zu sein, aber das nicht sein zu können - Herzen und Leben wie auf "hold" gesetzt.“ Die Sehnsucht wird immer größer. Wie sie sich hörbar nach und nach entfaltet, hat besondere Klasse. Und das liegt auch an Gitarrist Wolfgang Muthspiel.
Denn ganz im Sinne des Antidots zur Einsamkeit hat sich das Quartett für dieses und drei weitere Stücke des Albums zum allerersten Mal einen Gast eingeladen: den österreichischen Meister der Jazzgitarre Wolfgang Muthspiel. Muthspiel, der u.a. mit Größen wie Brian Blade oder Brad Mehldau konzertiert, ist mit seiner intimen, auf Dialog und Interaktion setzenden Spielweise ein idealer Partner. "Für uns alle war es unglaublich inspirierend und bereichernd, mit Wolfgang – den wir alle schon lange Zeit sehr schätzen - zusammen zu arbeiten" - so die einhellige Meinung der Band. "Seine Wertschätzung der Musik gegenüber, seine Spielfreude, sein ganz-imMoment-Sein, seine Kreativität, Sicherheit und seine Tiefe im Musizieren haben uns alle total fasziniert und Inspiriert."
Muthspiel ist auch auf "du & ich" zu hören, ein Stück, das - wie Klesse erzählt – "inspiriert ist von der Leichtigkeit, der Zugehörigkeit und ganz konkret von einem Konzertbesuch der großartigen queerfeministischen Rapperin Sookee".
Nicht zuletzt kommen die Stärken des Quartetts, Muthspiels und der ganzen Platte im Opener der CD besonders zur Geltung: "Minor is what I feel" von Philip Frischkorn ist eine von Melancholie gezeichnete Komposition, die sich motivisch immer weiter entfaltet. Die schlichte harmonische Grundlage lädt die Musiker*innen zu lyrischen Höhenflügen ein. Letztendlich bleibt der Eindruck hängen, dass Traurigkeit und Hoffnung zwei Seiten derselben Medaille sind und Traurigkeit nie schöner ist als in ihrer Verwandlung in Musik.
Über allem und im Zentrum dieser Band steht - wie auch schon bei den vorherigen Alben, und wie auch immer wieder live zu erleben - der Kollektivgedanke: "Eva Klesse und ihre drei Mitspieler (…) interagieren und improvisieren auf höchstem Niveau und mit faszinierender Leichtigkeit. Die vier sind perfekt eingespielt, und man spürt in der Musik ein immenses Vertrauen innerhalb der Band." (Ulli Habersetzer, BR). Alle Bandmitglieder tragen nicht nur ihre instrumentale, sondern auch ihre kompositorische Handschrift in das Kollektiv hinein. Die Kontinuität, die Freundschaft, die lange Geschichte sind deutlich in der musikalischen Art zu kommunizieren und zu interagieren hör- und spürbar.
Mit der wunderbaren Zeichnerin Kendike, mit der die Band auch schon beim letzten Album "creatures & states" zusammen arbeitete, hat das Quartett eine Verbündete gefunden, welche die musikalischen Geschichten auch visuell feinsinnig, humor- und liebevoll umsetzt, so dass das Album, welches pünktlich zum Jubiläum auch zum ersten Mal als Schallplatte erhältlich sein wird, zum sichtbaren und hörbaren Gesamtkunstwerk wird.
jazz-fun.de meint:
Eva Klesse und ihre Bandkollegen wissen sehr wohl, wie groß die Kraft der Musik in ihrer Sparsamkeit liegt, wie enorm die emotionale Last in ein paar passend gespielten Noten enthalten sein kann. Und gerade mit Artikulation und Phrasierung besticht ihr Spiel; gleichzeitig unterstützen diese Elemente den Aufbau der Dramatik der einzelnen Kompositionen. Das Album fesselt vom ersten bis zum letzten Takt.
- Minor is what I feel
- Glory glory misfits
- Past, tense
- Achille Island
- Der Eremit
- U - O - I - A
- Intermezzo for people floating in fear
- Hearts on hold
- Lied
- Du & ich
- Anthem (for the anthemless)
- Song for Dave
- Sergio Stanco
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