Inge Brandenburg - I Love Jazz

Inge Brandenburg - I Love Jazz

Inge Brandenburg
I Love Jazz

Erscheinungstermin: 31.05.2019
Label: UNISONO-RECORDS, 2019

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I love Jazz – von Kopf bis Fuß

18 unveröffentlichte Titel von Inge Brandenburg

„Aus Anlass ihres 90. Geburtstages und 20 Jahre nach ihrem Tod erscheint zur Erinnerung an Inge Brandenburg ein Album mit bisher unveröffentlichten Gesangsaufnahmen der First Lady des deutschen Jazz.“

So lautet die Presse-Info des Produzenten-Teams der CD Marc Boettcher und Patrick Römer. Das ist der Anlass für Jazz-Fun.de und Cosmo Scharmer, die Sängerin zu würdigen und ihre CD "I love Jazz" zu besprechen.

Zu hören sind 5 Big Bands:
Südfunk-Tanzorchester, WDR-Orchester, RIAS-Tanzorchester, SFB-Tanzorchester, NDR-Rundfunkorchester sowie 5 kleine Formationen:
Trio, Quartett, Quintett

Inge Brandenburg & Südfunk-Tanzorchester

Die folgenden 6 Stücke des Südfunk-Tanzorchesters sind – im scheinbaren Gegensatz zum Namen – keine klassische Tanzmusik für Standard und Latein, sondern klassischer Jazz. Das ist Big Band Sound in bester Ausprägung: swingende rhythmische Basis, verschachtelte Bläsersätze, die Stimme als Solofarbe. Und diese faszinierende Klangfarbe gehört Inge Brandenburg.

Was ist zu hören?
Durchweg ist auf allen Titeln der CD eine klassisch schöne Jazz-Phrasierung zu erkennen. Dazu gesellt sich das große Volumen ihrer Stimme mit einer höchst variablen Intonation. Damit das Ganze die Hörer auch emotional trifft, verfügte Inge Brandenburg als Persönlichkeit über die erforderliche Ausstrahlung. Inge Brandenburg sang den Jazz nicht, sie lebte ihn. Auf I love Jazz ist dies gut zu hören.

A Taste of Honey
Auch wenn der Titel A Taste of Honey schon 1970 eingespielt wurde, ertönt er noch heute (Juni 2019) wie eine zeitgenössische Interpretation. Damals wirkte der Sound mit dem Stimmvolumen von Inge Brandenburg geradezu avantgardistisch.

Like a Straw
Ähnlich kommt Like a Straw/Strohhalm im Wind rüber. Der von Wolfgang Dauner geschriebene Titel ist eine gefühlvolle Ballade, bei der die Melodielinien von den Bläsern unisono vorgetragen werden. In diesen dichten Hintergrund dringt vorsichtig die Stimme. Zärtlicher betont sie die inhaltliche Aussage des Textes. Und der ist von der Sängerin höchstpersönlich. Ein inhaltlich anspruchsvoller Text auf Deutsch und dann auch noch als Jazz. Das war vielleicht schon eine Revolution im damaligen Musikgeschäft, ganz sicher war es eine Revolte. Inge Brandenburg versteht es, diesen Strohhalm im Wind mit zerbrechlicher Intonation passend zu Text und Musik zu interpretieren. Sie hält die Töne, hält sie in ihrer Spannung aus, steigert das Stimmvolumen, erhöht dadurch die musikalisch-textliche, also inhaltliche Bedeutung.

Das Riesenrad
Auch eine Komposition von Wolfgang Dauner mit dem Text von Inge Brandenburg und ebenfalls von 1970. Dies ist ein fetziger Titel, rhythmisch akzentuiert mit raffinierten Bläsersätzen. Hier ist die Handschrift von Wolfgang Dauner deutlich erkennbar. Zu diesem - in musikalischen Schleifen sich empor schraubenden - Thema kommt ein anspruchsvoller Text im Sinn von anspruchsvollen Chansons. Dies alles gibt es auf Deutsch und als vorzüglichen Jazz.

Zeig mir was Liebe ist
Ähnlich tönt auch die jüngste Aufnahme von 1971: Komposition Peter Herbolzheimer, Text Inge Brandenburg. Bläsersätze und der rhythmisch akzentuierte Sound dieser Ballade schaffen eine herrliche Grundlage für die Stimme, die es wagt, deutsch zu klingen. Inge Brandenburg kann auf Deutsch Jazz so singen, dass es dem normativen Englisch in keiner Weise nachsteht. Nach einem kurzen Trompeten-Solo folgt wieder der textliche Refrain. Als Finale gibt es eine starke Verdichtung der Musik mit hoher Dramatik der solistischen Gesangsstimme. Dies ist ganz nah dran an der Perfektion oder vielleicht schon erreicht.

Cry Me a River
Ein Standard. Wir schreiben das Jahr 1963. Auch hier klassischer Big Band Sound. Inge Brandenburg gelingt es - bis ins kleinste Detail, - Text und Musik in Einklang zu bringen. Phrasierungen und Betonungen des Gesangs sind in einem ständigen Wechsel, überraschend, kurzweilig. Das ist mehr als eine gute Interpretation eines klassischen Standards, das hat individuelle Aussage und überzeugt deshalb. Hier ist die Nähe zu Billie Holiday am dichtesten, aber eine Kopie ist der Gesang keineswegs. Die Ähnlichkeit kann durch ein gelebtes Leben mit all seinen Höhen und Tiefen und den Persönlichkeiten der beiden Ladies erklärt werden. Alles zusammen macht die hohe Authentizität der beiden Stimmen aus … Ein herrliches Alt-Sax-Solo blitzt in bester Tradition kurz auf.

Was weißt du von Liebe
Ein weiterer Standard von 1964, aber in deutscher Übersetzung. Ein balladenhafter Sound der Big Band trägt die Stimme. Diese beschwört sehnsuchtsvoll die Liebe. Die Interpretation, die Betonung passen exzellent zum inhaltlichen Text. Bisweilen kippt die Stimme ins Zart-Zerbrechliche, dann wieder ist sie stark und hoffnungsvoll auftrumpfend. Überbrückend verstärkt ein Solo des Alt-Saxofons diese (Liebes-)Ballade.

Für den Titel Zähle nicht immer die Stunden mit dem NDR-Rundfunkorchester mit Ladi Geisler von 1965 kann Ähnliches gesagt werden. Der Titel I love Jazz mit dem gleichen Orchester ist stilistisch anderer Natur: Die Stimme der Sängerin tönt hier kratzig, rauchig, wenn nicht „verrucht“. Eine Hommage an den New Orleans Stil, als der Jazz noch jung war, ist unverkennbar, ebenso wie die Bewunderung für das stimmliche „Vorbild“ Luis Armstrong.

Moritat Mackie Messer
Inge Brandenburg & RIAS-Tanzorchester
Der – tausendfach von vielen Musikern unterschiedlichster Couleur – gespielter Titel von Kurt Weill und Bert Brecht, stammt von 1960. Das ist unkompliziert swingender Jazz: treibend, feurig, unverschämt, respektlos, freiheitsliebend.
Das alles ist in der „anarchistischen“ Moritat enthalten, die Inge Brandenburg individuell in ihren Gesang übersetzt, in diesen German Song.

Stella by Starlight
Inge Brandenburg & WDR-Orchester unter Kurt Edelhagen
1959. Ein swingender Big Band Sound mit viel Groove, angereichert mit den Farben des Gesangs von Inge Brandenburg: Phrasierung, Expressivität und beides zusammen münden in große Individualität. Diverse kurze solistischen Einspielungen von Saxofon, Trompete (Dusko Goykovich?!) und Piano runden ab.

On the Sunny Side of the Street
Inge Brandenburg & SFB-Tanzorchester 1969.
Eigentlich ist schon alles gesagt. Es klingt einfach fantastisch, was Inge Brandenburg singt, vorträgt, präsentiert, mit Leidenschaft und Leben erfüllt. Wer will – so wie der Autor –, der kann eine Prise zart-bitterer Ironie raushören.
In diese Rubrik fällt auch der Klassiker Makin´ Whoopee. Der deutsche Text ist von dem Mann am Klavier; Paul Kuhn. Der swingende Sound stammt von einem unbekannten, aber gut eingestimmten Orchester. Könnte es das SFB-Tanzorchester unter Paul Kuhn sein? Hier wird kokettierend gesungen, mit einem ironischen Zungenschlag und dabei augenzwinkernd.

Combos: Trio, Quartett, Quintett

Hello Little Boy
Inge Brandenburg & Ensemble Günther Leimstoll, 1961, Quintett
Es gibt auch heiß gespielte Stücke auf der CD. Inge Brandenburg swingt hier bewegt und schnell: very hot, rhythmisch markant, Anklänge an den Scat. Ihre Klangfarbe ist rau, bissig und verrucht. So ist auch das Solo des Bariton-Saxofons.

Rund About Midnight
Inge Brandenburg & Michael-Naura-Quartett, 1963
Die Jazz-Ballade! Unzählbar, wer sie alles gespielt hat? Wer viel erlebt hat, der kann auch darüber berichten. Wer über die musikalischen Qualitäten verfügt, dies in der Musik und besonders im Gesang auszudrücken, der findet zwangsläufig zur künstlerischen Form der (Jazz-)Ballade. Inge Brandenburg kann diese Geschichten glaubhaft erzählen: nicht trivial lamentierend oder anklagend, aber mit jener elegischen Tönung, die direkt unter die Haut ins Herz geht. Traurig schön und schön traurig!

Summertime & What's the Matter, Daddy
Inge Brandenburg & Klaus-Doldinger-Quartett, 1963, 1964
Einer der wohl meist gespielten (Jazz-)Standards, obwohl oder gerade weil es ein Song aus dem Musical Porgy and Bess ist. Ihn komponierte der Jazz-affine Gershwin, der den Ruf eines sinfonischen Jazzkomponisten zu Recht hat.
Erstaunlich, wie umfangreich die Skalen von Inge Brandenburgs Stimme sind. Hier interpretiert sie Summertime als sentimentale Ballade. Mit einem leicht elegischen Unterton gestartet, wechselt sie bald ins Kokette. Verlockend, verführend, mit einem jugendlichen Timbre, springt dieser Song aufmüpfig und neugierig, wenn nicht abenteuerlustig durch eine unbeschwerte Welt. „Summertime … and the livin´ is easy.“ Nach einem gefälligen Piano-Solo tönt die Stimme wieder ganz anders: abgeklärter, reifer, wissendender. Der Gesang scheint eine Gefühlslage am späten Nachmittag widerzuspiegeln: zufrieden mit sich und der Welt. Oder ist dies alles nur Illusion?

What's the Matter, Daddy ist eine bluesige Ballade. Eine röhrende Orgel, das tragende Sax-Solo stimmen ein. Inge Brandenburgs Gesang ist kokettierend, rauchig und lockend. Hier wird Daddy gnadenlos umgarnt und eingewickelt. Ja, auch den Blues, den kann Inge Brandenburg verdammt gut rüberbringen. Dies geschieht mit viel Emotionalität, wie es sich für einen erdigen Blues gehört.

But Not for Me & St. Luis Blues
Inge Brandenburg und Trio: Klaus König, Heinz Pfenninger & Fritz Stähli, 1965
Das Piano-Trio intoniert mit swingenden Klängen diesen Standard von Gershwin. Dabei ist das Piano die führende instrumentale Farbe; Bass & Drums wirken unterstützend. Die menschliche Stimme übernimmt jetzt die musikalische Führung. Dies ist eine klassische Demonstration aller Stilelemente des Genres Song im Jazz. Gleiches gilt für den anderen großen Jazz-Klassiker der frühen Jahre, als der Jazz den Blues (noch) hatte und ihn so spielte. The Lady sings the Blues … Yes, aber diese Lady hier kam von diesseits des Atlantiks, aus anhaltinischen Landen. Die Stimmung in beiden Songs ist ein starkes „Blue“. Inge Brandenburg verfügt über die gleichen musikalischen Qualitäten wie die großen Ladies aus Blues und Jazz. Ebenso wie diese intoniert und phrasiert sie souverän. Sie ist expressiv, emotional, packend, intensiv, insistierend, überwältigend. Einfach große Klasse!

Fazit: Ob sie den Glauben an die Liebe noch hatte, ist nicht bekannt, auch nicht, ob sie an den breiten Erfolg ihres Jazzgesanges glaubte, aber der Glaube an den Jazz als eine Kunstform, die das Leben in all seinen Facetten auszudrücken vermag, den hatte Inge Brandenburg sicherlich. Denn dies ist hier unüberhörbar dokumentiert.

Text: Cosmo Scharmer

  1. A Taste Of Honey
  2. Like A Straw (Wie ein Strohhalm im Wind)
  3. Cry Me A River
  4. Zeig mir was Liebe ist
  5. Summertime
  6. Was weißt Du von Liebe (You Don’t Know What Love Is)
  7. Moritat von Mackie Messer
  8. Stella By Starlight
  9. What’s The Matter, Daddy
  10. But Not For Me
  11. Zähle nicht immer die Stunden
  12. Makin‘ Whoopee
  13. St. Louis Blues
  14. Hello Little Boy
  15. On The Sunny Side Of The Street
  16. Round Midnight
  17. Das Riesenrad
  18. I Love Jazz

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