Christoph Irniger im Gespräch mit Jazz-fun.de

Christoph Irniger
Christoph Irniger, Foto: Gian Marco Castelberg

Christoph Irniger, geb. 1979, ist ein Schweizer Saxophonist, Komponist und Bandleader; laut der NZZ am Sonntag zählt er „zweifellos zu den grössten Talenten seiner Generation“. Irniger hat sich in den letzten Jahren in unterschiedlichen Formationen zwischen Jazz, Rock und verwandten Musikstilen profiliert. Als Musiker einer Generation, die viele stilistisch heterogene Projekte verfolgt, betreibt er eine Reihe von Vorhaben, die sehr unterschiedlich und überraschend daherkommen.

Anlässlich seiner Tournee durch Deutschland haben wir ihm einige Fragen gestellt.

jazz-fun.de:
Christoph, Du bist einer der gefragtesten Saxophonisten aus der Schweiz. Erzähl uns, wie alles begann. Wann hast Du zum ersten Mal ein Saxophon in die Hand genommen?

Christoph Irniger:
Ich begann mit dem Saxophon im Alter von zehn Jahren. Ein Freund von mir hat das Instrument gespielt und mich hat insbesondere das Aussehen dieses Instrumentes fasziniert. Ich weiss nicht, ob ich von Anfang an so angefressen war. Was mich sicher beim Instrument gehalten hat war, dass ich schon bald in Formationen spielen konnte und dann als Teenager eine Band hatte.

jazz-fun.de:
Welche Künstler und Musiker haben Dich am meisten inspiriert?

Christoph Irniger:
Es sind derart viele Künstler aus den verschiedensten Sparten, die an ganz unterschiedlichen Punkten in meinem Leben und auf ganz verschiedene Weise sehr inspirierend waren. Einige davon haben mich über lange Zeit begleitet und bei anderen war es vielleicht nur ein ganz kleiner Input, der jedoch Unglaubliches bewirkt hat. Wieder andere waren mal sehr wichtig und begleiten mich jetzt gar nicht mehr.

Sehr wichtig waren sicher Musiker und Bands, die mir gezeigt haben, wo das Saxophon in der Musik seinen Platz hat, wie z.B. Maceo Parker, Tower of Power oder die Brecker Brothers. Dann die Musiker und Bands, welche meine Leidenschaft zum Jazz geweckt haben, wie Oscar Peterson oder Chick Corea. Von da an wird die Liste unendlich, aber ich möchte vielleicht ein paar herausheben: Mark Turner und Chris Cheek waren in den sehr intensiven Jahren meiner Ausbildung meine Helden. Sie haben mich wahnsinnig inspiriert - Mark Turner insbesondere in Bezug auf die Harmonik und Chris Cheek in Bezug auf Sound und den Ausdruck. Daneben Coltrane, Wayne Shorter, Warne Marsh, etc. Monk, Jarrett, Bobo Stenson, Brad Meldau, Kurt Rosenwinkel und natürlich Miles! Wenn ich einen nennen müsste, wäre es Miles Davis. Er ist für mich über das Gesamte gesehen die wichtigste Inspiration: Vielleicht nicht primär als Instrumentalist, sondern vor Allem auf Grund seiner Bands, die Wahl der Mitmusiker und Kompositionen, die Vielseitigkeit, die Wandelbarkeit, die Gestaltung und Verschiedenheit der Alben, der Ausdruck, etc.

jazz-fun.de:
Wer hat Deine Ausbildung und Deine musikalische Entwicklung am meisten geprägt?

Christoph Irniger:
Das waren sicher alle meine Lehrer Alphons Rüegg, Michael Allemand, Christoph Grab und Nat Su. Sie haben mich in unterschiedlichen Phasen gefördert und mir die nötigen Imputs geben können. Daneben natürlich auch die vielen Musiker meiner Bands und Projekte, wie zum Beispiel Nasheet Waits, Loren Stillman, Ohad Talmor, Ben van Gelder, Rafael Schilt und die vielen wunderbaren Musiker des Lucerne Jazz Orchestra, Nils Wogram, Chris Wiesendanger, Raffaele Bossard, Michael Stulz, Dave Gisler, Stefan Aeby, Ziv Ravitz, etc.

jazz-fun.de:
Wie komponierst Du? Wie viel Raum lässt Du dabei für Improvisation?

Christoph Irniger:
Seit ich Kinder habe, setze ich für meine zur Verfügung stehende Zeit immer einen Fokus. Das Komponieren hat meist seinen Platz, wenn ich keine oder wenig Konzerte habe, um wirklich frei zu sein von Zwängen (wie z.b. fit zu sein auf dem Instrument). Dieser Raum ist für mich essenziell. Das Saxophon ist dann, zusammen mit anderen Instrumenten und dem Computer "nur" noch Mittel zum Zweck und dient mir zum Erforschen und Erarbeiten neuer Ideen. Der Prozess ist dabei erst sehr intuitiv und ich jage jeder Idee nach und sammle alles, was mir in den Sinn kommt in meinem Skizzenbuch oder nehme es auf. In einer zweiten Phase verarbeite ich die verschiedenen Ideen und setze sie in eine Form. Ich folge dabei einfach dem, was sich gut anfühlt und probiere stimmige Entscheide zu treffen. Die Improvisation ist also sowohl inhaltlich wie auch strukturell sehr wichtig!

jazz-fun.de:
An welchen Projekten bist Du derzeit beteiligt?

Christoph Irniger:
Christoph Irniger Pilgrim, Christoph Irniger Trio, Swiss Jazz Orchestra & Christoph Irniger, David Regan Big Band.

Christoph Irniger Trio & Ben van Gelder
Christoph Irniger Trio & Ben van Gelder, Foto: UllaCBinder

jazz-fun.de:
Dein letztes Album „Christoph Irniger Trio - Open City“ (2020) wurde mit deinem Trio aufgenommen. Wer sind Deine Band Kollegen?

Christoph Irniger:
Mit Raffaele Bossard, Kontrabass, pflege ich die lŠngste und intensivste musikalische Zusammenarbeit. Ihn kenne ich bereits seit der Hochschule und wir haben seither mit UnterbrŸchen immer in irgendwelchen Formationen gemeinsam gespielt. Raffaele spielt sowohl in meinem Trio und bei Pilgrim und ist in beiden Formationen auch als Komponist tŠtig.

Ziv Ravitz haben wir gemeinsam in New York 2011 kennengelernt. Wir waren beide unabhängig und zufällig in der Stadt und ihn für eine Jam Session angefragt, die so wunderbar war, dass ich mich ein Jahr später entschieden hatte, Ziv für eine Produktion einzuladen.

Ben van Gelder war ursprünglich der Ersatz von Loren Stillman, welcher auf Open City mitgespielt hat. Auf Grund verschiedener Faktoren ist er im Moment festes Mitglied der Gruppe, wenn wir im Quartett auftreten.

jazz-fun.de:
Was denkst Du über die Entwicklung der kreativen Musik?

Christoph Irniger:
Ich bin auch selber ein grosser Musikfan und bin stets auf der Suche nach neuen Entdeckungen, wobei es mir persönlich nicht darauf ankommt ob die Musik neu oder alt ist. In dem Sinne fällt es mir schwer ein Urteil über die Entwicklung der aktuellen kreativen Musik zu fällen und es liegt in der Natur der Sache, dass es Dinge gibt, die mir mehr oder weniger gefallen. Die Musik entwickelt sich, aber werten möchte ich das nicht. Sicher finde ich immer wieder etwas Neues, wobei mich die Fülle zuweilen erschlägt. Ich vermisse ganz klar die CD Läden von früher, wo ich Nachmittage damit verbracht habe die Regale zu durchstöbern und CDs zu hören.

jazz-fun.de:
Glaubst Du immer noch - vielleicht mehr denn je -, dass kreative Musik die Welt verändern kann?

Christoph Irniger:
Ich möchte das etwas umformulieren und den Begriff Community benutzen. Ich denke, dass die Musik alleine die Welt nicht verändern kann, aber die Community - insbesondere die kreative Community kann es. Dazu zähle ich alle Künste, die Wissenschaften und jegliche Form von Innovation und gutem Willen aus dem Kleinen und Lokalen heraus, diese Welt besser zu machen. Durch meine Reisen weiss ich, dass es überall auf der Welt solche Communities gibt und ich hege stets die Hoffnung, dass sie sich vergrössern, verbinden und vernetzten, sodass der gute Wille am Ende stärker ist, als die negativen Kräfte auf dieser Welt.

jazz-fun.de:
Wie lebst Du die aktuelle Zeit? Spürst du noch die Auswirkungen der Pandemie und die Stille in den Konzertsälen?

Christoph Irniger:
Im Moment erlebe ich eher das Gegenteil. Die letzten Konzerte waren so gut besucht, wie schon lange nicht mehr und die Stimmung super. Ich bin mir nicht sicher warum das so ist, aber ich denke, dass den Leuten auf Grund der Pandemie und der Weltlage im Allgemeinen mehr bewusst ist, dass man den Moment genießen muss, solange es geht.

jazz-fun.de:
Können wir von positiver Nebenaspekt der Covid 19-Ereignisse sprechen?

Christoph Irniger:
Es ist schwierig, dass allgemein zu sagen, da die Zeit für Einige sehr schwierig war. Für mich persönlich war die gewonnene Zeit ein Segen und ich hatte auch keine finanziellen Probleme, da ich weiterhin unterrichten konnte und auch vom Staat gut unterstützt wurde. In aller Ruhe und ohne Druck konnte ich mich einem lang gehegten Wunsch widmen und in Komposition weiterbilden, habe Bücher darüber gelesen, Übungen gemacht, Partituren analysiert und meine ersten Gehversuche für Ensembles über fünf Stimmen gemacht. Daraus entstanden ist ein abendfüllendes Programm für Big Band, was ich wohl nie gemacht hätte ohne die durch Covid gewonnene Zeit. Das Ganze ist übrigens auf der aktuellen Aufnahme mit dem Swiss Jazz Orchestra "The Music of Pilgrim" dokumentiert!

jazz-fun.de:
Du bist jetzt mitten in einer Tournee. Kommen viele Leute zu euren Konzerten? Wie ist die Stimmung?

Christoph Irniger:
Die Konzerte sind sehr gut besucht und die Stimmung ist super. Wie bereits beschrieben denke ich, dass es wie gesagt mit der unruhigen Zeit zu tun hat und dass die Leute den Moment geniessen wollen.

jazz-fun.de:
Wann kommst Du wieder nach Deutschland?

Christoph Irniger:
Die nächsten Konzerte sind mit dem Trio und Ben van Gelder am 16. November in der Unterfahrt München und am 18. November im Domicil Dortmund. Im Februar kommen wir mit Pilgrim und der neuen CD "Ghost Cat" (Erscheint am 20. Januar bei Intakt Records) am 1. Februar nach Dresden und am 4. Februar nach Prien.

jazz-fun.de:
Neues Album?

Christoph Irniger:
Swiss Jazz Orchestra & Christoph Irniger "The Music of Pilgrim" (nWog Records)
CD / Download / Stream: https://lnk.to/the-music-of-pilgrim
Teaser: https://www.youtube.com/watch?v=CHDcj78qONY

Christoph Irniger Pilgrim "Ghost Cat" (Intakt Records)
VÖ: 21. Januar 2023

jazz-fun.de:
Ein paar persönlicher Fragen:
Hast Du noch Geschwister?

Christoph Irniger:
Nein.

jazz-fun.de:
Welche Art von Musik hörst du privat?

Christoph Irniger:
Fast Alles. Vor Allem Jazz, Pop und Rock.

jazz-fun.de:
Pizza oder Pasta?

Christoph Irniger:
Pizza.

jazz-fun.de:
Was ist für Dich die schönste Aussicht?

Christoph Irniger:
Wald, Seen, Hügel/Berge, Weite, ...

jazz-fun.de:
Was machst Du an einem Sonntag, wenn Du nicht gerade Musik machst?

Christoph Irniger:
Dann bin ich mit der Familie. Im Moment sind wir viel auf dem Eis (Eishockey)!

jazz-fun.de:
Dein Lieblingsgetränk?

Christoph Irniger:
Rotwein oder Wasser.

Text: jazz-fun.de
Foto: Gebhard Ullmann

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