XJAZZ-Festival in Berlin-Kreuzberg - Die 4. Kurzgeschichte - The Bad Plus Encounters Yaron Herman - ein Vergleich

von

The Bad Plus
The Bad Plus - Foto: Joanna Wizmur

Kurzgeschichten vom XJAZZ-Festival in Berlin-Kreuzberg 08.05. bis 12.05.2019

Die 4. Kurzgeschichte – 10.05.2019
The Bad Plus Encounters Yaron Herman - ein Vergleich

Das Trio im Jazz

In der klassischen Besetzung mit Piano, Kontrabass und Drums gehören Trios dieser Art zu den Standard-Formationen im Jazz. Piano-Trio genannt, bilden sie ein eigenes Genre. Seit über 2 Jahrzehnten hat sich in diesem Genre ungeheuer was getan und es gibt wahnsinnig viel zu entdecken. Aktuell spielen einige der besten Piano-Trios stilistisch so gut wie alles, was sich mit dieser kleinen Instrumentierung ausdrücken lässt: swingende Themen, lyrische Balladen, Funk-Rhythmen, einfache Songs und Rhythmen, wunderschöne melodische Titel nebst freien atonalen Expeditionen bis zu den minimalistischen Spielweisen einer neuen Musik. Die ungeheure Individualität dieser Piano-Trios übertrifft noch die große Bandbreite ihrer Stilistik. Die Kompositionen und Improvisationen dieser Trios tragen höchst eigene Handschriften. Klangcharakter und Sound machen diese Gruppen so spezifisch wie unverwechselbar. 

Gleiche Zeit, anderer Ort

Zu diesen herausragenden zeitgenössischen Piano-Trios gehören The Bad Plus und die Band von Yaron Hermann. Die gute Nachricht: beide Trios sind beim XJAZZ-Festival zu hören. Die schlechte Nachricht: beide Gruppen spielen zum gleichen Zeitpunkt. Beide Konzerte zu besuchen ist in unserem Raum-Zeit-Kontinuum nicht möglich. Nicht fähig, sich für eine der beiden Trios zu entscheiden, blieb nur der folgende Kompromiss: die erste Hälfte der Musik – leider gibt es nur einen Set und keine Pause - gehört The Bad Plus im BI UU, die zweite Hälfte des Konzertes ist Yaron Herman in der Emmauskirche gewidmet. Zwischen beiden Spielstäten liegen 5 schnelle Geh-Minuten. Sollte also machbar sein. Soweit der Plan. Ob´s funktioniert?

Bi NUU - Location und Publikum

The Bad Plus
The Bad Plus - Foto: Joanna Wizmur

So ungewöhnlich wie der Name ist auch der Ort, der sich unterhalb der U-Bahnstation Schlesisches Tor befindet. Da die U-Bahn hier überirdisch fährt, gehört die Location bautechnisch nicht wirklich zum Berliner Untergrund, sondern ist ebenerdig zu erreichen. Früher hätte der „echte Berliner“ dies Parterre genannt. Die Location ist kein langes Rechteck, sondern in der Form eines L angelegt. Wer – weil später gekommen – sich in dem kleinen Arm des L´s befindet, der hat mit dem Sehen ein kleines Problem, weil er um die Ecke zur Bühne schielen muss. Auch das Hören ist hier etwas eingeschränkt, gerade noch vertretbar.

Es ist rammelvoll im BI NUU. Dicht gedrängt stehen die Besucher im Halbdunkel Schulter an Schulter. Wer dies mag, für den ist es schön kuschelig. Andere könnten mit dieser tuchfühlenden Nähe ein Problem haben. Passion hat auch mit Leiden zu tun und guter Jazz verlangt mitunter diese Leidensfähigkeit. Da ein großer Teil des Publikums aus jüngeren Leuten besteht, ist es die Enge aus anderen Konzerten wohl gewohnt, und dieser unvermeidliche Körperkontakt scheint den meisten nichts auszumachen. Von der Band ist auch noch nichts zu hören und zu sehen. Der Autor blickt leicht beunruhigt auf die Zeitanzeige des Handys. Schon 15 min Verspätung. Da kann er nur hoffen, dass das „konkurrierende“ Konzert mit Yaron Herman auch später anfängt. Wäre ja im Jazz gang und gäbe. Gespannte Aufmerksamkeit. Da betreten die Musiker die kleine Bühne, werden freundlich empfangen und schon entspringen die ersten Töne aus dem Piano und schallen zart durch den dunklen Raum des BI NUU.

Die Dramaturgie der Musik

Yaron Herman
Yaron Herman, Foto: Norbert Krampf

Sie gehen es langsam an. Ruhig und entspannt werden dem Piano sparsame Akkorde und einzelne Noten entlockt. Bass und Drums haken sich allmählich in diese Sequenzen ein. Alle verweilen ein wenig in diesem Zustand von Ruhe und Stille. Dann – so peu a peu – nimmt das Thema Fahrt auf. Die Musik verdichtet sich, Bass und Drums spielen akzentuierter, kraftvoller. Die rhythmische Intensität nimmt zu. Es wird lauter. Die Spannung steigt unerbittlich, so lange wie dies nur möglich sein kann. Die Musiker verdichten mit intensiven Tonkaskaden ihre Themen, die sich plötzlich in gewaltigen Eruptionen als musikalische Lava entladen. Die Anwesenden sind erstmal baff, dann platt, dann begeistert.

Der folgende Titel geht schon von Anfang an so richtig los. Schnelles Tempo, hohe konzentrierte Interaktion zwischen den Musikern. Auch wenn das musikalische Thema schon relativ viel Spannung beinhaltet, es gelingt ihnen, dies noch zu steigern. Die Musik von The Bad Plus ist Jazz-Dramatik pur, ganz gleich wie episch oder elegisch ihre Motive auch anfangen mögen. Alles, was kreativen improvisierten Jazz ausmacht, ist in ihrer Musik zu finden. Sie schrecken nicht davor zurück, auch aus einfachen Themen wie simplen Pop-Songs was zu machen. Das nächste Stück ist etwas ruhiger und wirkt wie eine kleine Verschnaufpause: nicht für die Musiker, sondern für das Publikum.

Noch was wirklich Originelles. Nach dem Vorstellen der einzelnen Musiker spielt das Trio eine sehr kurze, aber prägnante Sequenz. Dies für jeden Musiker separat und bei jeder Vorstellung anders. Diese kurzen Tonfolgen habe Substanz, Witz oder auch Ironie. Wie auch immer: Sie klingen toll.

Die Interaktion

Wesentlich für den exzellenten Sound ist die Vertrautheit bei der intensiven musikalischen Interaktion. Hier ist die jahrzehntelange Zusammenarbeit beim Musikmachen geradezu anzufassen. Die sich ergänzenden Wechselspiele zwischen der individuellen Ausgestaltung der Themen, der Ausrichtung an den anderen Mitspielern bis hin zum gemeinsamen Gruppen-Sound ist wohl ein Geheimnis ihrer Musik und ihres Erfolges. Diese Kriterien gelten mehr oder weniger für alle Musiker, die kreativen Jazz spielen. Aber bei The Bad Plus funktioniert die erforderliche Kommunikation wohl perfekt – insofern Perfektion überhaupt möglich ist.

Das Piano

Pianist Orrin Evans spielt anstelle des Pianisten und Mitbegründers Ethan Iverson. Kein Ersatz, sondern eine nicht zu bemerkende Änderung des Gruppen-Sounds. Phänomenal wie sich Orrin Evans mit seinem Pianospiel in kurzer Zeit in die Band einfügen konnte. Wer Ethan Iversion nicht persönlich kennt oder keine Programmankündigung gelesen hat, der würde diese Veränderung musikalisch kaum oder gar nicht bemerken. Auch der abgedunkelte Raum sorgt dafür, dass der unterschiedliche Teint zwischen altem und neuem Pianisten nicht auffällt. Die Stilistik könnte die beiden unterscheiden, aber dazu müsste ein Hörer die individuelle Spielweise der beiden Pianisten schon verdammt gut kennen. 

Bass & Drum

The Bad Plus
The Bad Plus - Foto: Joanna Wizmur

Im Unterschied zu nicht wenigen Jazz-Bassisten, die die Klangfarben ihres Instrumentes und die Aussteuerung nicht oder nicht gut genug realisieren können, ist dies bei Reid Anderson nicht besser zu machen. Dies gelingt durch: die Klangfärbung seines Bass, wohl auch die Art der Saiten, die Art der Tonerzeugung durch die Zupftechnik. Die - ebenfalls ungemein wichtige und oft im Jazz vernachlässigte - perfekte Aussteuerung der Verstärkung und damit der Lautstärke sorgen für diesen stets präsenten, warm singenden und kraftvollen Ton seines Kontrabasses, der sich stets Gehör und seiner Musik Raum verschafft. Ach so, der „Rest“, warum dies alles so fantastisch klingt, ist dann „nur noch“ souveränes Spielen in all seinen Facetten. Diese Art des Bass-Spielens ist im Trio als Gegenwicht zum agilen Drummer Dave King absolut notwendig.

Dave King zeichnet sich dadurch aus, dass er sowohl behutsames, differierendes oder gar subtiles Trommeln vermag, aber auch alle Spielarten, in denen es um Kraft und Dynamik geht, virtuos beherrscht. Die Kunst besteht darin, die Rhythmik nach den musikalischen Inhalten von Komposition und Improvisation zu gestalten. Dies bedingt ein harmonisches oder gar melodisches Trommeln einerseits. Anderseits wird auch ein treibendes wie disziplinierendes Spiel gefordert, das mit kraftvoller Schlagfertigkeit – im Sinne des Wortes - die Musik zum Explodieren und die Emotionen zur Entladung  bringen soll. All dies ist im Spiel von Dave King enthalten und zu erleben. Auch hier ist der fehlende „Rest“ seiner Spielweise pures Können, das diesen Beat und jene Rhythmik hervorbringt, die zeitgenössische Kunstwerke eines Jazz-Trios erst möglich machen. Dieser Trommler ist ein Gewaltiger seiner schlagenden Zunft. Einfacher gesagt: Dave King ist ein Klasse-Drummer.

Jazz, Piano, Trio

The Bad Plus
The Bad Plus - Foto: Joanna Wizmur

Zusammen mit den anderen Mitbegründern des seit 18 Jahren bestehenden Trios - Reid Anderson am Bass und Dave King an den Drums -, sind alle Drei absolut gleichberechtigte Mitgestalter ihrer Musik: souverän und virtuos. All dies spürt das Publikum und bekundet - wenn nicht emphatische - so doch freundliche Begeisterung nach jedem Titel. Dies sollte sich nicht mehr ändern, wie der Autor später erfuhr.

So, die halbe Stunde ist rum. Mit großem Bedauern verlässt der Autor den Club und macht sich hurtig auf den Weg zur Emmauskirche, wo er ein vermutlich anderes, aber ebenfalls spannendes Konzert von Yaron Herman und seinem Piano-Trio zu erleben hofft. Fortsetzung: Die 5. Kurzgeschichte - Yaron Herman Encounters The Bad Plus – ein Vergleich

Text: Cosmo Scharmer
Foto: Joanna Wizmur, Norbert Krampf

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Kommentar von Rainer |

Sehr schön geschrieben und stimmungsvoll fotografiert. Man möchte den Doppelkonzertstreß gerne mitgemacht haben.... Bin gespannt auf die Fortsetzung!

Bitte addieren Sie 4 und 7.

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