Jaimie Branch: Fly or Die - Jazzfest Berlin - Fr 02.11.2018

Jaimie Branch - trumpet
Chad Taylor - drums, mbira
Jason Ajemian - bass
Lester St. Louis - cello
Der Auftritt und die Ansage der Chefin machen sofort alles klar. Hier wird kein Pardon gegeben, weder musikalisch, noch in der Art der Performance inklusive der Ansagen. Nun, die Lady, die im authentischem Outfit von Nord-Neukölln (für Nicht-Berliner: extrem weiter Jogging-Anzug, Base Cap) die Bühne betritt, wundert sich, dass Ihre gemotzte Begrüßungsfrage nicht erwidert wird. Irritiert, vielleicht sogar enttäuscht, wiederholt sie den Auftakter in der Hoffnung auf mehr Resonanz. Die kommt jetzt etwas stärker von der kleinen Minderheit der Muttersprachler, aber fällt immer noch sehr lau aus. Vielleicht ist der Dame nicht bekannt, dass die Mehrheit in Berlin – einschließlich der zahlreichen internationalen Touristen - nicht Englisch oder Amerikanisch als Muttersprache beherrschen. Die Lady zieht vermutlich ihre Konsequenzen aus der zögerlichen Resonanz und wird sich verbal nur noch gelegentlich äußern. Warum diese vielen Bemerkungen zur Sprache bei diesem Jazzfest? Weil es darum geht verstanden zu werden und zu verstehen, mittels Musik, aber auch durch Sprache. Kommen wir zur Musik.
Ein durchgehender Beat des Drummers, in den der Bassist fetzige Figuren wirft, bildet den Auftakt. Die Trompete stößt spitze Dolche in diesen Klangteppich. Mit aufspießenden Tönen schraubt sich das Horn in hohe Lagen, nahe am Fanfarenklang.
Die Besetzung - ohne Akkord-Instrumente wie Piano oder Gitarre – ist wegen des Cellos durchaus originell. Dieses hält sich zu Beginn stark zurück, um später - zusammen mit dem Bass – ein Duo zu bilden. Beide streichen ihre Instrumente, schrammeln sich aufeinander zu, ein zündender Funke mag dabei nicht rüber springen. Dafür haut der Man an den Drums im wörtlichen Sinn ein zünftiges Solo in die Kerbe des Jazz. Der erstmals spontan aufkommende Beifall zeigt das Bedürfnis nach einer auch emotional verständlichen Musik. Über diese Rhythmen kommt die gestopfte Trompete schnell zur Sache: ein scharfes, schneidendes Blech macht sich mit viel Puste den Weg zu den Hören frei. Wir sind im - emotional gespielten - lebendigem Jazz angekommen, der sofort verstanden wird.

Schon das nächste Stück zeigt die Band von einer anderen Seite. Bass und Cello bearbeiten mit der Rückseite ihrer Bögen Saiten und Korpus. In dieses perkussive Szenario bläst Jaimie Branch einzelne Klang-Kaskaden, die sich zunehmend lyrisch verwandeln. Diese Tonfolgen sind dichtgewebt und bilden ergänzende Linien im Klangteppich, die sich kreuz und quer laufend zu musikalischen Mustern verdichten.
Dann wird dieser Schönklang wieder zerstört, wobei der Trommler starken Anteil hat. Eine gewisse Lust an der musikalischen Destruktion ist der Gruppe nicht fremd. Diese Lust am Einreißen muss der Hörer teilen, wenn er solche Titel oder Passagen nicht nur würdigen, sondern auch genießen will. Hier tönt jetzt der dunkle Sound eines tiefschwarzen Kosmos. Der Klangcharakter der Trompete schwillt bedrohlich an und - neben der zunehmenden Lautstärke - ist es der schrille Ton, der es schafft Frequenzen zu erzeugen, die als unangenehm wahrgenommen werden. Dieser Sound hat ebenso erschreckende, verstörende wie faszinierende Elemente. Nichts für zarte Ohren.
Der dunkle Kosmos löst sich auf. An seiner Stelle erklingt das ganze Spektrum der Trompete im Jazz. Jetzt kann Jaimie Branch zeigen, was sie alles drauf hat. Ein Rundumschlag in Sachen Stilistik oder ein starker Wirbelwind aus wechselnden Richtungen bläst die Hörer einfach um. Wenn jetzt auch noch die übrige Band einfällt und die Musik noch um treibende Rhythmik ergänzt, so kann sich das Publikum nicht mehr zurückhalten und schreit dankbar auf. Unverkennbar das Bedürfnis nach solchen Klängen und Rhythmen.
Die Trompete jubiliert, um dann strahlend aufzutrumpfen. Hör ihr Leut´, Ihr versteht zwar mein Englisch nicht, aber dies hier wohl. Alle Musiker treffen sich noch zu kurzen wohltemperierten thematischen Passagen und dann ist schon Schluss.
Die Lady mit dem Horn macht noch ein paar abschließende Bemerkungen wie: Fuck the Police und so ähnlich. Würdigen wir Jaimie Branch musikalisch und messen sie weniger am Charme ihrer prolligen provokativen Aussagen, worüber diskutiert werden kann. Fly or Die. Manchmal vielleicht, aber musikalisch und darüber hinaus: Es sind die Zwischentöne!
Kurzgeschichten über neun Konzerte des Jazzfestes Berlin 2018.
Die einzelnen Konzerte des Festivals in der Übersicht:
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