Jason Moran - The Harlem Hellfighters - Jazzfest Berlin – Sa. 03.11.2018

Jason Moran - The Harlem Hellfighters
Jason Moran - The Harlem Hellfighters, Foto: Camille Blake

James Reese Europe & the Absence of Ruin

Audiovisuelles Projekt von Jason Moran und den Filmemachern John Akomfrah & Bradford Young
Jason Moran, John Akomfrah & Bradford Young

Ife Ogunjobi - trumpet
Joe Bristow - trombone
Rosie Turton - trombone
Hanna Mubya - tuba
Mebrakh Johnson - saxophone/clarinet
Kaidi Akinnibi - saxophone/clarinet
Alam Nathan - saxophone/clarinet
Jason Moran - piano
Tarus Mateen - bass
Nasheet Waits - drums

Die Moderatorin gibt wichtige Informationen über dieses Projekt, die den Kontext erläutern. Dies ist nicht nur sinnvoll, sondern erforderlich, wenn die musikalischen, historischen und humanen Anliegen von Jason Moran verstanden werden sollen. Zum Zeitpunkt als der afroamerikanische Musiker James Reese mit den Hellfighters in Europa landete war der Jazz noch jung, geradezu blutjung. Diese Musik klang stärker nach Ragtime als nach frühem Jazz à la New Orleans. Und so soll das Projekt auch heute Abend klingen: eine Hommage an diesen „Jugend-Stil“, an die Jazz-Botschafter der Hellfighters, beides in zeitgemäßer musikalischer Form. Ein mutiges Unterfangen, das bei dem hohen Anspruch auch misslingen kann.

Alter (Ragtime)Jazz und junger Musiker
Jugendliche Musikerinnen und Musikern aus Berlin betreten in einer (fast) klassischen New Orleans-Besetzung die Bühne. Sie sind heute im selben Alter wie die damaligen Mitglieder der Hellfighters um 1918. Klug gewählt, denn nicht nur die Musikform des Jazz war damals jung und unerprobt, sondern auch die Musiker konnten auf keine oder sehr wenig Erfahrung zurückgreifen. Als Pioniere oder Avantgardisten waren Sie unter den ersten, die diese (afro)amerikanische Musik der alten Welt anboten, wenn auch als Militärkapelle.

Ehrfurchtsvoll mit weit geöffneten Ohren lauschen wir der Musik, die nun erschallt. Dies ist allbekannter 2-taktiger Ragtime, so einfach wie vertraut, unkompliziert und angenehm. Alles vorgetragen mit dem Charme von noch nicht perfekt spielenden jungen Musikern. So oder ähnlich könnte es damals geklungen haben. Nach dem eher tragenden Auftakt-Thema wechselt die Musik in einen flotteren 2-Takter und verdeutlicht, dass zu dieser Musik nicht nur das Tanzbein geschwungen, sondern auch marschiert werden konnte.

Nun, wir sind eingestimmt und die Moderatorin erläutert weitere Aspekte des Projektes. Darunter die Information, dass James Reese sich nicht aus patriotischen Gründen freiwillig zum Kriegseinsatz gemeldet hat, sondern um – zusammen mit weißen Kameraden/Kollegen – der herrschenden Diskriminierung der Afroamerikaner durch eine gemeinsame Musik entgegenzuwirken. Diesbezüglich, so die Moderation, sei James Reese enttäuscht worden. Lassen wir die Musik durch den Text sprechen.

Jason Moran - The Harlem Hellfighters
Jason Moran - The Harlem Hellfighters, Foto: Camille Blake

Ein Requiem
Jason Moran informiert sachlich knapp über den plötzlichen Tod des Jazz-Trompeters Roy Hargrove. Die folgende Musik – wenn auch nicht für ihn, sondern für James Reese konzipiert – könnte nicht besser auch seinem Gedenken gerecht werden.

Nach verhaltener Piano-Einführung gesellen sich Drums und Bass vorsichtig dazu. Die Bläser fallen wuchtig ein und sofort erfüllt ein großflächiger Sound den Saal. Zu diesem voluminösen Klang in tiefsten Lagen trägt zuvorderst die Tuba bei, die es gleich zweimal gibt. Dazu kommen Posaune, Trompete und Saxofone. Alles zusammen kreieren ein Requiem, von geradezu klassischen Dimensionen, vorgetragen durch ein sinfonisches Blasorchester. Eine gelungener Hommage an die zu ehrende Person(en). Auch mit den Augen kann gehört werden. Das Display über der Bühne zeigt verblichene Fotos von James Reese sowie anderen Personen, die nicht immer zur Musik passen.

Die Bläser ziehen sich zurück, die Musik variiert zu einem etwas frei aufspielenden Piano-Sound mit Bass und Drums. Tempo und Druck des Trios erhöhen sich, dann lösen die einfallenden Bläser diesen pianistischen Ausflug mit tragenden Harmonien auf. Ein eindringliches Posaunen-Solo rundet diesen Musik im historischen Gewand ab.

Dann wird es wilder, quirliger. Dazu trägt das Solo der Trompete bei, das den historischen Frühjazz-Stil partiell verlässt. Die Auflösung durch das gesamte Ensemble erfolgt wieder als Ragtime. Dieses Wechselspiel zwischen einem historischen Ensemble-Sound (Ragtime) und den Improvisationen der Solisten - in vielen aktuellen Ausprägungen - findet ständig statt. Dies sorgt für stete Überraschung und höchste Spannung auf das weitere musikalische Geschehen. Das ist ein – nicht nur - musikalischer Thriller auf höchstem Niveau.

Der tragende „Funeral Sound“ führt uns jetzt zum Friedhof. Wir schreiten trauernd mit der Kapelle, legen den persönlichen Schmerz in die Musik, halten inne. Dies ist jetzt bester New Orleans in klassischer Tradition, höchst lebendig zelebriert. Die Musik wird zur Hymne für die Personen (hier James Reese, Roy Hargrove), an die erinnert werden soll. Aber auch das Erinnern und Bewusstmachen von sozialem Schmerz wie Krieg und Rassismus kann in dieser hymnischen Musik entdeckt werden. Einspielungen vom Band erzeugen schmerzlich empfundene akustischen Attacken, die zusätzlich durch Fotos noch verstärkt werden. Diese Musik ist Allerseelen, hörbar gemacht durch historischen wie aktuellen Jazz. Dann geht es wieder lustig zurück ins Leben, das sich selbst feiert, … bis zum nächsten Funeral.

Einen der vielen Musikwechsel leitet wiederum das Piano von Jason Moran ein. Die Bassgitarre seines Trios Bandwagon hatte es bislang schwer gegen die beiden Tuben anzuspielen. Keine Chance! Jetzt grummelt die Bassgitarre verschämt im Hintergrund, ist aber zu hören. Dagegen war und ist der Drummer als rhythmischer Gegenpol zu den Bläsern unverzichtbar für den Trio- als auch für den Ensemble-Sound. Ein schwelgendes Solo des Altsaxofons beschwört erneut den Hymnencharakter der Musik. Die Bläser setzen in gewohnter Weise ein, um ihre so subtilen wie wirkungsvollen Akzente zu setzen. Das Alt steigert sein Solo in einem wilden Gefühlsausbruch, Piano und Drums langen frei auftrumpfend nach und dann schraubt sich das ganze Ensemble zu einem ekstatischen Höhepunkt: Hurra …hier geht es lang! Das Trompetensolo hat etwas von einem militärischen Apell: Achtung! Scharf, schneidend verlangt es Aufmerksamkeit. Dann der Fanfarenklang: dies klingt nach Ankündigung von Befreiung. Befreiung wovon? Der dann erneut einsetzende Ragtime-New-Orleans-Sound beruhigt wieder.

Das Display blendet jetzt Fotos der Hellfighters ein: Auf einem (Militär)Schiff hat sich die Militärkapelle mit klassischer Instrumentierung formiert, sie scheint auch zu spielen und die heimkehrenden Kombattanten zu begrüßen.

Mit zeitgenössischem Jazz schließt sich dann der musikalische Kreis dieses Projektes. Die Musik verebbt ganz langsam, erstirbt. Die einzelnen Musiker kommen zu dem ohne Klappe geöffnetem Flügel in der Mitte der Bühne. Der Flügel ist jetzt ein offenes Grab, um das sich alle Musiker im stillen Gedenken versammeln. Dies ist so gut inszeniert, dass der Betrachter erschaudert.

Fazit: dieses Konzert war ein bewegendes Erlebnis und bildete den wohl unumstrittenen Höhepunkt des Jazzfestes Berlin 2018.

Text: Cosmo Scharmer

Kurzgeschichten über neun Konzerte des Jazzfestes Berlin 2018.
Die einzelnen Konzerte des Festivals in der Übersicht:

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