Jazzfest Berlin 2018
Kurzgeschichten über neun Konzerte des Jazzfestes Berlin 2018.
Die einzelnen Konzerte des Festivals in der Übersicht:

What´s new? – so fragt ein Jazz-Standard und diese Frage wird gern an die Ausrichter und Besucher von Musikfestivals gestellt. So auch beim 55. Jazzfest.
Zwei Methoden, um sich einer Antwort zu näheren: Top Down und Bottom Up. Wir fangen von oben an, da Top Down etwas leichter fällt, als der schwierige Weg Bottum Up, also von der erdigen Basis des Publikums zu den luftigen Höhen der Künstler und Veranstalter.
Von oben nach unten
Eine neue künstlerische Leiterin prägte das Jazzfest: Nadine Devinter. Dies sind schon mal 2 Neuigkeiten: das junge Alter und die Tatsache der Weiblichkeit. Beides in der Person Nadine Devinter vereint. Zusätzlich verkörperte sie eine große Begeisterung an ihrer Aufgabe und gewann mit Charme und Empathie Publikum wie Medien - wohl auch die Musiker. Dies ist die 3. Neuigkeit. All diese Eigenschaften zeigten sich in der neuartigen Präsentation der Konzerte, die sich auf den verschiedenen Bühnen manifestierte. Hier gab es Experimente von parallel stattfinden Konzerten oder Events, die in andere Räume übertragen wurden. Damit sind wir bei der 4. Neuheit, der stärkeren Verwendung zeitgemäßer Techniken und Medien plus der Ausweitung von weiteren Veranstaltungsorten auf externe Clubs. Und Nr. 5: dem Publikum wurde ein sehr weites Spektrum unterschiedlichster Stile im Jazz oder im Genre der Improvisierten Musik angeboten.
Von unten nach oben
Mit den Ohren des Besuchers. Die verschiedenen Musikstile der auftretenden Künstler fordern heraus, können auch polarisierten und es wird Einiges geben, was dem einzelnen Hörer nicht gefällt. Anders sind Veranstaltungen dieser Art auch nicht möglich. Die Kunst des Besuchers besteht darin, sich die Konzerte rauszusuchen, von denen er überzeugt ist, dass sie ihm gefallen. Da dies nicht so einfach ist – trotz Internet, iTunes und YouTube – bleibt ein Risiko bestehen. Dies ist auch ganz gut so, denn das Moment der Überraschung sorgt für positive Aufregung und Spannung. So entpuppen sich vermeintlich hochinteressante und tolle Konzerte als arge Enttäuschungen.
Auch dem journalistischen Berichterstatter ging es nicht anders als den Leuten. Zum Beispiel das legendäre Art Ensemble of Chicago. Hier trafen die hohen Erwartungen an das AEC auf die neue Musikkonzeption und deren Umsetzung im Konzert, um dann richtig zu enttäuschen. Siehe die Details im Artikel.
In der differenzierten Mitte von Enttäuschung und positiver Überraschung bewegte sich das Konzert der Trompeterin Jaimie Branch. Originelle Besetzung und innovative Elemente kämpfen mit Aspekten von musikalischer Destruktion und fehlender Emotionalität. Nichtsdestotrotz war dieses Event ein spannendes Konzert. Siehe die ausführliche Berichtserstattung.
Der absolute Höhepunkt des Jazzfestes (wobei diese Aussage nur für die besuchten Konzerte der Hauptbühne gelten kann) war für den Autor das Projekt von Jason Moran über die historische Person James Reese – The Harlem Hell Fighters. Große Klasse, geistig wie emotional bewegende Musik. Mehr dazu in der detaillierten Kurzgeschichte.

Halt, da wär´ noch eine Kleinigkeit. Ein wenig meckern muss sein, wir sind ja in Berlin. Der 20-minütige Vortrag zum Auftakt in Englisch, den der Autor zwar nicht erleiden musste, vom dem aber des Öfteren erzählt wurde. Das Jazzpublikum beherrscht in aller Regel ein gängiges Englisch, verfügt also über eine hohe Affinität dieser Sprache. Das Verständnis von englischen Texten hängt von vielen Faktoren ab. Die wichtigsten sind: bekannter Kontext, hohe Identifikation mit den jeweiligen Inhalten, gute bis ausgezeichnete Artikulation des Vortragenden und nicht zuletzt die Zeitdauer. Fallen diese Komponenten zu Ungunsten des nicht muttersprachlichen Publikums aus, so hat dieses keine Chance mehr zu verstehen und das Gehirn schaltet ab. Ähnlich verhält es sich bei den Projekten, in denen Musik zusammen mit Text - also Lyrik - vorgetragen wurde. Auch hier wird das Ganze sinnentleert, wenn der Inhalt nicht oder nicht ausreichend verstanden werden kann. Weniger wäre hier mehr, bei aller Liebe zum Englischen im Jazz. Siehe dazu die detaillierten Ausführungen über die Konzerte mit präsentierten Poems von Moor Mother.
Was war für den Besucher anders, was war neu?
Hier treffen sich die beiden Methoden (oben -> unten versus unten -> oben) nach der Antwort auf die Frage: What´s new?
Der Versuch einer Antwort erfolgt aus der subjektiven Blickrichtung von unten:
Das Ambiente prickelte etwa mehr als in den vergangenen Jahren, ein aufgeweckter Geist schien durch die Vorhallen und Säle zu wandern. Es war irgendwie frischer. Vielleicht lag es auch nur daran, dass das Publikum einen Tick jünger war als sonst. Vielleicht war die neue Ausrichtung des Festivals schon telepathisch antizipiert worden, bevor sie durch die Medien veröffentlich werden konnte. Vielleicht hat die neue künstlerische Leiterin Nadine einfach alle verzaubert? Wenn dem so wäre, so sollte diese wagemutige Festivalkonzeption, die auch ein jüngeres Publikum gewinnen kann (wird), unbedingt fortgeführt werden - mit oder ohne weiblicher Zauberkraft.
Weitere Informationen enthalten die Kurzgeschichten über neun Konzerte des Jazzfestes Berlin 2018.
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